Das Strafverfahren gegen den Ex-Kanzler: Die Ausgangslage und mögliche Auswirkungen

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft verdächtigt Sebastian Kurz und zwei Mitangeklagte der falschen Beweisaussage. Ein Überblick zum Strafverfahren.
Wien Vorerst ist der Strafprozess gegen Sebastian Kurz für drei Tage angesetzt: Am 18., 20. und 23. Oktober muss der ehemalige Bundeskanzler auf der Anklagebank im großen Schwurgerichtssaal am Wiener Straflandesgericht Platz nehmen, verhandelt wird der Verdacht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Der Strafantrag liegt den VN vor, er ist mit 108 Seiten „untypisch ausführlich“, wie Strafrechtsexperte Robert Kert (Wirtschaftsuniversität Wien) in der „Zeit im Bild 2“ schilderte.
Bis zu einer Verurteilung oder einem Freispruch sind aber noch einige juristische Fragen zu klären. Da ist etwa die Möglichkeit, die Angelegenheit per Diversion zu erledigen (§ 198 StPO) – dabei verzichten Anklagebehörde oder Gericht gegen Auflagen auf den Abschluss des Strafverfahrens. Für die WKStA kommt das aber nicht in Betracht, „mangels Verantwortungsübernahme [durch Sebastian Kurz] und zusätzlich auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten“, schreibt sie in ihrem Strafantrag.
Wegen Generalprävention keine Diversion
Klaus Schwaighofer, Leiter des Instituts für Strafrecht der Universität Innsbruck, erklärt das im VN-Gespräch so: „Nur ganz ausnahmsweise wird eine falsche Beweisaussage diversionell erledigt. Bei Politikern wird neben der Generalprävention zusätzlich darauf verwiesen, dass andere Politiker von derartigen Straftaten abgehalten werden müssen.“ Im renommierten „Wiener Kommentar“ zur entsprechenden Norm im Strafgesetzbuch (§ 288) schreibt Franz Plöchl, der Vorsitzende des Weisungsrats, dass eine Diversion bei falscher Beweisaussage „vorwiegend bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen“ denkbar ist.
„Bei Politikern wird neben der Generalprävention zusätzlich darauf verwiesen, dass andere Politiker von derartigen Straftaten abgehalten werden müssen.“
Klaus Schwaighofer (Universität Innsbruck) über die Möglichkeit einer Diversion
Die WKStA geht in ihrem Strafantrag außerdem auf die Möglichkeit des Aussagenotstands (§ 290 StGB) ein: Grob gesagt wird man hierdurch wegen falscher Angaben in einem Untersuchungsausschuss nicht bestraft, wenn man sich mit der wahrheitsgemäßen Aussage einer strafrechtlichen Verfolgung oder öffentlicher „Schande“ ausgesetzt hätte. Die Ankläger sehen hierfür bei Kurz keinen Grund: Hätte Sebastian Kurz im U-Ausschuss ausgesagt – wovon die WKStA ausgeht, was Kurz aber verneint –, dass er in die Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand der staatlichen Holding ÖBAG eingebunden war, wäre das „aufgrund mangelnder strafrechtlicher Relevanz [kein] Anlass für Ermittlungen gewesen“, schreibt die WKStA. Auch Klaus Schwaighofer sieht das so: „Das Einflussnehmen ist kein strafbares Verhalten, das hätte nur ein schlechtes Licht auf Sebastian Kurz geworfen, der ja einen neuen Stil von Politik versprochen hat, ohne Postenschacher.“
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Andere Maßstäbe für Gericht und Anklage
Und wie wahrscheinlich ist nun eine Verurteilung? Darüber lassen sich keine seriösen Angaben machen, vor allem weil bisher nur der Strafantrag der WKStA öffentlich debattiert wird und nicht der komplette Ermittlungsakt, anhand dessen sich der zuständige Richter ein Bild macht. Sowohl für Staatsanwaltschaft als auch Weisungsrat, der bei aufsehenerregenden Fällen jeden Ermittlungsschritt kontrolliert, ist eine Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch – ansonsten hätten sie die Anklage laut Gesetz fallen lassen müssen: „Das Gericht muss aber von der Schuld überzeugt sein, es dürfen keine Zweifel bleiben“, erklärt Schwaighofer die Freispruchsquote von etwa 20 Prozent: „Das ist ein anderer Maßstab.“

Eine falsche Beweisaussage muss für eine Verurteilung außerdem vorsätzlich getätigt werden. Franz Plöchl schreibt im Kommentar weiters, dass auch das „Verschweigen erheblicher Tatsachen, selbst wenn nicht ausdrücklich danach gefragt wurde“ den Tatbestand der falschen Beweisaussage erfüllt, „sofern die verschwiegene Tatsache nicht ganz außerhalb des Beweisthemas liegt.“ Auch dieser Aspekt könnte eine Rolle spielen.
Verbale Attacken und verbissene Ermittlungen
Jedenfalls dürfe man nicht von einem „Sieg“ für die Staatsanwaltschaft bei einem Schuldspruch und von einer „Niederlage“ bei einem Freispruch sprechen: „Die kriegerischen Ausdrücke sind durch die verbalen Attacken der ÖVP auf die WKStA entstanden, aber auch, weil die WKStA doch den Anschein erweckt, dass sie sich in die Verfolgung von Politikern besonders verbissen hat“, sagt Schwaighofer. Das Ergebnis wird sich ab dem 18. Oktober zeigen. Ob die Hauptverhandlung aber tatsächlich in drei Tagen absolviert werden kann, ist offen: Die Staatsanwaltschaft hat die Ladung von 18 Personen in den Zeugenstand beantragt, darunter Thomas Schmid oder die ehemaligen Finanzminister Gernot Blümel und Hartwig Löger beziehungsweise Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache.
„Die kriegerischen Ausdrücke sind durch die verbalen Attacken der ÖVP auf die WKStA entstanden, aber auch, weil die WKStA doch den Anschein erweckt, dass sie sich in die Verfolgung von Politikern besonders verbissen hat“
Klaus Schwaighofer (Universität Innsbruck)
Auch deren Aussagen könnten laut Schwaighofer für die Zukunft von Sebastian Kurz eine Rolle spielen: „Jede Verurteilung hat nachteilige Auswirkungen für zukünftige Strafverfahren. Es fällt zumindest der Milderungsgrund der Unbescholtenheit weg, meist kommt der Erschwerungsgrund der einschlägigen Vorverurteilung zur Anwendung.“ Gegen den ehemaligen Bundeskanzler laufen noch weitere Ermittlungsverfahren in der sogenannten „Inseraten-Affäre”. Also wird „besonders intensiv geschaut, wie die Verfahren ausgehen.“
Stichwort: Auszug aus dem Strafgesetzbuch
§ 288 (falsche Beweisaussage): (1) Wer vor Gericht als Zeuge oder, soweit er nicht zugleich Partei ist, als Auskunftsperson bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch aussagt oder als Sachverständiger einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten erstattet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
(2) […]
(3) Nach den Abs. 1 und 2 ist auch zu bestrafen, wer eine der dort genannten Handlungen im Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates oder einer Disziplinarbehörde des Bundes, eines Landes oder einer Gemeinde begeht.
§ 5 (Vorsatz): (1) Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.
[…]
§ 290 (Aussagenotstand): (1) Wer eine falsche Beweisaussage (§§ 288, 289) ablegt, um von sich oder einem Angehörigen Schande oder die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder eines unmittelbaren und bedeutenden vermögensrechtlichen Nachteils abzuwenden, ist nicht zu bestrafen, wenn er von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses befreit war oder hätte befreit werden können und wenn er
1. nicht wusste, dass dies der Fall war,
2. den Befreiungsgrund nicht geoffenbart hat, um die schon aus der Offenbarung drohenden Folgen der bezeichneten Art abzuwenden, oder
3. zur Ablegung der Aussage zu Unrecht verhalten worden ist.
(1a) Der Täter ist nach § 288 Abs. 3 ferner nicht zu bestrafen, wenn sich die Untersuchung des [Untersuchungsausschusses] gegen ihn gerichtet und er eine falsche Beweisaussage abgelegt hat, um die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung von sich abzuwenden.
[…]