Othmar Karas: „Welche Türen aufgehen, hängt nicht allein von mir ab“

Der Erste Vizepräsident des EU-Parlaments, ÖVP-Urgestein Othmar Karas, nach seinem Rückzug von der europapolitischen Bühne im VN-Gespräch.
Wien Er habe lange Zeit mit sich gehadert, sagt Othmar Karas. Auch deshalb fiel seine Begründung so lang, so ausführlich, aus. Seine Begründung für den Rückzug von der europapolitischen Bühne. Bei der Europawahl im kommenden Jahr wird der 65-Jährige nicht mehr antreten. Der Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments wird es dann nicht mehr sein. Auch wenn er „politisch aktiv“ bleibe. Das verkündete er in einer 18-minütigen Ansprache. Danach zollten ihm SPÖ, Neos und Grüne für seine langjährige Tätigkeit in Straßburg Respekt. Die ÖVP, die eigene Partei, nicht. Generalsekretär Christian Stocker nahm die Entscheidung Karas’ nur „zur Kenntnis“.
Schmerz daran lässt der Niederösterreicher im Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten nicht durchblicken, eher im Gegenteil: „Ich habe auch aus meiner Partei sehr viele positive Zuschriften von verschiedenen politischen Ebenen erhalten.“ Mit Parteiobmann Karl Nehammer habe er telefoniert, ein Gespräch vereinbart, außerdem sei er ohnehin immer ein Verfechter der parteiübergreifenden Zusammenarbeit gewesen: „Um das Vertrauen in die politischen Entscheidungen zu stärken.“

Sehr viel Herzblut in der Partei
Dass Landeshauptmann Markus Wallner sich in Karas’ Rede „eine gewisse Fairness“ gewünscht hätte, angesichts der Unterstützung, die er oft von der Partei erhalten habe, kann er nicht nachvollziehen: „Ich habe sehr viel Herzblut in die Partei und in ihre Entwicklung gesteckt. Und jetzt habe ich gesagt, was mir Sorgen bereitet. Das war keine Schuldzuweisung, sondern hoffentlich ein Beitrag für eine positive Entwicklung.“
Die ÖVP sei nicht mehr die Europapartei, die er kennengelernt und in der er in den vergangenen Jahren gearbeitet hatte, sagte Karas in seiner Ansprache, deswegen trete er nicht mehr für sie an. Aber hätte er diese Entscheidung nicht bereits 2019 treffen sollen, als der Parteiobmann mit der FPÖ koalierte und Karoline Edtstadler im Vorzugsstimmenwahlkampf zur EU-Wahl unterstütze? „Ich habe auch damals mit mir gekämpft. Aber diese Art des Wahlkampfs war in all meinen Gesprächen mit Sebastian Kurz nicht absehbar. Mir wurde die ganze Unterstützung zugesichert.“ Karas sagt den VN, dass sein Kurs im Vorhinein akzeptiert worden sei. Dadurch hätte er damals noch das Gefühl gehabt, „dass ich mit meinem Auftreten und meiner Kandidatur etwas verändern und etwas bewegen kann“. Und: „Das habe ich auch in dieser Legislaturperiode im Europäischen Parlament geschafft.“
Aber: „Diesmal hatte ich dieses Gefühl nicht mehr.“
„Obwohl ich immer der Gleiche geblieben bin.“

„Größte Herausforderungen seit 1945“
Wen können proeuropäisch und christlich-sozial eingestellte Menschen, die Gruppe, die Karas ansprechen wollte, dann bei der nächsten Europawahl wählen? Wen wird er wählen, angesichts der breiten Kritik, die er gegenüber seine Partei äußerte? „Ich habe in den nächsten Monaten so viel zu tun und es gibt so viele Entscheidungen zu treffen, dass ich mir darüber keine Gedanken mache.“ Er mache sich vielmehr Gedanken über die Entwicklung Europas, denn: „Wir stehen vor den größten Herausforderungen seit 1945, nationalistische Parteien wachsen, die Extreme wachsen.“
Zur Person
Othmar Karas (65) ist seit 1975 politisch aktiv, zunächst in der Schülerunion. Zwischen 1981 und 1990 war er Bundesobmann der Jungen ÖVP, von 1983 bis 1990 Nationalratsabgordneter. Ab 1995 war er Generalsekretär der Volkspartei, bevor er 1999 erstmals in das Europäische Parlament einzog. Seither ist der Niederösterreicher dort Mitglied, er wurde viermal wiedergewählt, zuletzt 2019. Zwischen 2006 und 2009 sowie zwischen 2011 und 2019 war er ÖVP-Delegationsleiter, von 2012 bis 2014 und 2019 bis 2022 Vizepräsident des Parlaments. Seit Jänner 2022 ist er Erster Vizepräsident und damit ranghöchster Österreicher auf europäischer Ebene.
Also, anders gefragt, wird seine ÖVP – Karas bleibt Parteimitglied – bei der Europawahl 2024 sein Wunschbild einer Europapartei verkörpern können? „Ja, das hoffe ich. Ich hoffe, dass wir die staatspolitische Verantwortung über die Parteitaktik stellen.“ Österreich sei nämlich durch seine Mitgliedschaft in der Union Hauptprofiteur ebendieser geworden.
„Ich hoffe generell, dass es in Österreich einen Neustart in der Europapolitik gibt.“
Allerdings einen Neustart ohne den Europapolitiker Othmar Karas.
Zumindest nicht im Europäischen Parlament.
„Aber welche Türen aufgehen, hängt nicht allein von mir ab.“
