Wenn man unter die „Experten“ gerät
„Seit dem 7. Oktober ist alles anders.“ „Man hätte es doch kommen sehen müssen.“ Die beiden Sätze streiten sich in mir seit den Massakern der Hamas in den israelischen Dörfern neben dem Gazastreifen. Und seit diesen Tagen will ständig irgend jemand ein Interview, will irgendetwas hören, dass die vollkommene Ratlosigkeit, Hilflosigkeit wegzaubert angesichts dieses Ausbruchs der Gewalt. Der kein „Ausbruch“ war, sondern lange geplant. Dessen Kalkül darin bestand, alle Illusionen auf ein gemeinsames Zusammenleben in diesem schon immer zerrissenen Land auf möglichst brutale Weise zu zerstören. Und zugleich die schrecklichen Bilder zu produzieren, mit denen dieser Riss überall in der Welt zu Polarisierung und blinder Gefolgschaft führen soll, Gefolgschaft zu jenen, die behaupten Befreier oder Beschützer zu sein, und die in Wirklichkeit nur an ihre eigene Herrschaft denken.
„Und dann kommt der Moment, wo man nach Lösungen gefragt wird, die im Moment keiner bieten kann.“
Während ich dies schreibe, warten alle auf das nächste Kapitel dieser Gewaltspirale, das Hamas als Szenario schon geschrieben hat, auf das, was man ebenso hilflos derzeit „Bodenoffensive“ nennt, und das sich niemand ausmalen will, denn man weiß, dass es eine Falle ist.
Und dann erlebe ich Gespräche, nicht zuletzt mit jüdischen und muslimischen Freunden, in denen die Ratlosigkeit eben nicht in banale Gleichsetzungen und Rechtfertigungen mündet, Gespräche in denen tatsächlich Verunsicherung einbekannt wird. Auch dann muss ich erst mein eigenes Misstrauen besiegen, das sich aus der Erfahrung nährt, dass aus Verunsicherung häufig Fatalismus und aus Fatalismus häufig Verantwortungslosigkeit wird. Nach dem Motto: „Wir haben eh keine Wahl. Also machen wir so weiter.“
Und dann kommt der Moment, wo man nach Lösungen gefragt wird, die im Moment keiner bieten kann. „Zwei-Staaten-Lösung“, „Ein-Staaten-Lösung“, oder die „Lösungen“ der Radikalen? Die davon träumen, das Land zwischen Mittelmeer und Jordan alleine zu besitzen und ein paar „Fremde“ dort nur dann zu dulden, wenn sie nach der eigenen Pfeife tanzen.
Währenddessen fällt mir nur noch ein, an übermorgen zu denken, an über-übermorgen. Wenn alle, Palästinenser und Israelis, immer noch da sein werden. Wenn die Vertreibungs- und Vernichtungsfantasien viele Opfer aber sonst nichts produziert haben. Und manche Menschen einfach nur noch in Ruhe zusammenleben wollen. Vielleicht werden es irgendwann mal ein paar mehr sein. Dafür machen wir das wenige, was ein Museum tun kann: Raum bieten, der Verunsicherung zulässt und die Suche nach etwas Unbekanntem.
Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.
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