Eine Bundesregierung auf ihren letzten Metern

Spätestens im Herbst wird ein neuer Nationalrat gewählt, spätestens dann ist die Amtszeit der amtierenden Bundesregierung vorbei. Was haben die 14 Ministerinnen und Minister also noch vor?
Wien „Wir haben schon zwei Drittel des Regierungsprogramms abgewickelt und erledigt“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer am 21. Dezember 2022.
„Diese Bundesregierung hat trotz multipler Krisen das Regierungsprogramm zu gut zwei Dritteln abgearbeitet“, ließ ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker am 5. September 2023 verlauten.
Es drängt sich also der Eindruck einer Koalition auf, die seit einem Jahr keine konkreten Projekte mehr umgesetzt hat. Klar, das ist überspitzt dargestellt, ÖVP und Grüne haben etwa seit Jahresbeginn rund 150 Gesetze beschlossen oder abgeändert. Etwa jenes über die Verleihung des Doktorats unter den Auspizien des Bundespräsidenten an besonders herausragende Studierende.
Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier hält aber fest: Allein nach dieser Zahl dürfe man nicht gehen. Relevant für die Beurteilung einer Regierungsarbeit sei sogenannte Major Legislation, sagt er den VN, also zentrale, hochkarätige Regierungsprojekte. In solchen Fragen – auch wenn sowohl der Kanzler als auch sein Vize Werner Kogler immer wieder die aus ihrer Sicht gute Zusammenarbeit in den Vordergrund stellen – wird sich die Koalition aber einfach oft nicht einig.

Stabilität ausstrahlen
Stehen also bald vorgezogene Neuwahlen an? Peter Filzmaier sieht hierfür, auch weil laut aktueller Umfragen beiden Regierungsparteien ein Minus beschieden wird, keinen Grund. Und auch von offizieller Seite wird in dieser Angelegenheit betont: „Das Regierungsprogramm wird weiter Punkt für Punkt abgearbeitet.“ Dennoch werden immer wieder Gerüchte über einen Superwahlsonntag gemeinsam mit der Europawahl am 9. Juni laut. Auch in den politischen Kabinetten in den Ministerien wird offen mit so einer Variante geliebäugelt. Damit sich das zeitlich ausgeht, müsste die Koalition ihre eigene Auflösung – und damit auch die Auflösung des Nationalrats – spätestens im März beschließen.

Für die beiden Regierungsmitglieder aus Vorarlberg, Gesundheitsminister Johannes Rauch und Finanzminister Magnus Brunner, geht es unterdessen darum, die aktuell paktierten Vorhaben auch in die Tat umzusetzen. Finanzausgleich und Gesundheitsreform wollen – wohl wieder in zahllosen weiteren Verhandlungsrunden – ausgestaltet werden; etwa was die örtliche Verteilung der 100 neuen Kassenarztstellen, die bis zum Jahresende ausgeschrieben werden sollen, betrifft. Und Brunner sprach zuletzt gegenüber den VN zwei politische Vorhaben an: Die Behaltefrist bei der Kapitalertragssteuer wieder einzuführen und die Nebenkosten beim Eigentumserwerb wenigstens zu senken. Ein anderes Thema ist gescheitert: Die Glücksspielreform, die Brunner mit der Grünen-Abgeordneten aus Feldkirch, Nina Tomaselli, verhandelte. Wegen koalitionären Unstimmigkeiten, was höheren Spielerschutz betrifft.
Meinungsverschiedenheiten bei „Major Legislation“
Wegen solcher Unstimmigkeiten soll eines der Prestigeprojekte dieser Regierung nicht platzen: das Informationsfreiheitsgesetz. Das Amtsgeheimnis sollen Nationalrat und Bundesrat Anfang des Jahres abschaffen und damit für Transparenz der staatlichen Verwaltung sorgen. Solch einen Plan gab es seit 2015 aber oft, geklappt hat es nie. Auch jetzt gibt es Fragezeichen: Das Thema stand zuletzt nicht auf der Tagesordnung des zuständigen Verfassungsausschusses und Jörg Leichtfried, der Vertreter der SPÖ, der für die notwendige Zustimmung seiner Partei sorgen soll, sprach den Wunsch nach einem überarbeiteten Entwurf aus.
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Weiter voneinander entfernt ist die Regierung bei anderen großen Projekten: Das Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Zielen zur Begrenzung von Emissionen wurde ebenso für gescheitert erklärt wie wohl der Umbau des Weisungsrechts über die Ermittlungsbehörden: Die Justizministerin soll dieses an eine neue „Bundesstaatsanwaltschaft“ verlieren. Grüne und ÖVP sind mit ihren jeweiligen Vorschlägen über die genaue Ausgestaltung, die sie jeweils als kompromisslos erklärten, so weit voneinander entfernt, dass ein Beschluss unrealistisch erscheint.
Bremsen gegen die Teuerung
Bleibt noch der Kampf gegen die Teuerung und für eine stärkere Wirtschaft, den zuletzt Kanzler und Vize wieder aufleben ließen: In einem gefühlt letzten Aufbäumen werden Stromkostenzuschuss verlängert und Mietpreisbremse für bestimmte Mietverhältnisse tatsächlich beschlossen.

Ist die Bundesregierung also noch voll handlungsfähig? Peter Filzmaier sagt dazu, dass in den kommenden Wochen – direkt vor den anstehenden Wahlen – keine großen Veränderungen in der Regierungsarbeit zu erwarten sind: „De facto haben wir seit einem Jahr Dauerwahlkampf.“ Und die Koalition sei in gewisser Hinsicht besser als ihr Ruf, der in den regelmäßig abgefragten Beliebtheitswerten der Regierungsmitglieder sichtbar wird. ÖVP und Grüne hätten – neben ständiger Krisenbewältigung – etwa mit der Abschaffung der Kalten Progression wegweisende Projekte beschlossen.
„Die Kampagnen laufen, wir haben de facto seit einem Jahr permanenten Dauerwahlkampf.“
Peter Filzmaier, Politologe (Donau-Universität Krems)
Ob solche noch folgen, ist aber offen, im Wahlkampf gelte schließlich die Devise, dem Koalitionspartner keinen Verhandlungserfolg gönnen zu wollen. Ein „Elchtest“, so der Politologe, könne das ORF-Gesetz sein. Der Verfassungsgerichtshof trug dem Parlament auf, die Zusammensetzung der Kontrollgremien des Rundfunks anzupassen: „Die Regierung könnte sich tatsächlich daran messen lassen, ob sie das in dieser Legislaturperiode noch beschließt. Und damit zeigt, dass sie wirklich noch arbeitsfähig ist.“
