Immer mehr Schülerinnen und Schüler werden suspendiert: Das steckt dahinter

Politik / 04.02.2024 • 18:17 Uhr
Immer mehr Schülerinnen und Schüler werden suspendiert: Das steckt dahinter
Durch die Schulzeit während der Pandemie (r.) habe sich die Situation vieler Schülerinnen und Schüler verschlechtert, sagt Lehrervertreter Willi Witzemann (l.). APA/Herbert Neubauer, Beate Rhomberg

In ganz Österreich ist die Zahl der suspendierten Schülerinnen und Schülern angestiegen – auch in Vorarlberg. Der Lehrervertreter begründet das auch mit der Pandemie.

Bregenz, Wien Für ihn ist die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler vom Unterricht zu suspendieren, viel mehr eine Hilfestellung als eine Bestrafung. Das sagt Willi Witzemann, Vorsitzender des Zentralausschusses in der Personalvertretung für Pflichtschullehrer, im Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten. Der Anlass: In Vorarlberg – und in ganz Österreich – ist die Zahl an „Zwangspausen“ von der Schule für junge Menschen angestiegen. Das geht aus einer aktuellen Anfragebeantwortung von Bildungsminister Martin Polaschek an Nationalratsabgeordnete der FPÖ hervor.

Zuerst „Erziehungsmittel“, dann Suspendierung oder Ausschluss

Laut Schulunterrichtsgesetz können Schülerinnen und Schüler für maximal vier Wochen vom Unterricht suspendiert werden, wenn von ihnen „Gefahr im Verzug“ für Mitschüler oder Lehrpersonen ausgeht. Markus Juranek, Leiter des Präsidialbereichs der Vorarlberger Bildungsdirektion, schreibt in seinem Kommentar über das österreichische Schulrecht, dass eine Suspendierung nur ausgesprochen werden darf, wenn gleichzeitig ein Schulausschlussverfahren läuft. Dieses wird laut Polaschek auch dann in Gang gesetzt, wenn der Schüler seine Pflichten „in schwerwiegender Weise“ verletzt und andere „Erziehungsmittel“ erfolglos bleiben. Die Suspendierung beantragt der Direktor aufgrund eines konkreten Anlassfalls und wird von der Bildungsdirektion verhängt – oder auch nicht.

Bildungsminister Martin Polaschek informierte das Parlament mittels Anfragebeantwortung über die Anzahl an Suspendierungen von Schülerinnen und Schülern. <span class="copyright">APA/Roland Schlager</span>
Bildungsminister Martin Polaschek informierte das Parlament mittels Anfragebeantwortung über die Anzahl an Suspendierungen von Schülerinnen und Schülern. APA/Roland Schlager

2022/23 wurden in Vorarlberg 99 Schülerinnen und Schüler suspendiert – mit 47 Stück fast die Hälfte von ihnen vom Unterricht an Mittelschulen. Damit lagen die Zahlen im vergangenen Schuljahr deutlich über jenen für die Jahre während der Covid-19-Pandemie, als der Präsenzunterricht zeitweise stark eingeschränkt war. Aber auch im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie sind die Zahlen höher: Zwar wurden 2018/19 ganze 100 Schülerinnen und Schüler – ebenfalls vor allem an Mittelschulen – suspendiert; 2016/17 und 2017/18 waren es mit 72 und 76 aber deutlich weniger.

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Solch eine Suspendierung werde keinesfalls leichtfertig verhängt, sagt Lehrervertreter Witzemann den VN: „Meistens sind es Krisensituationen oder Eskalationen an der Schule, nach denen es den Schülern durch die Suspendierung ermöglicht wird herauszukommen.“ Es gehe aber auch um eine zweite Ebene, nämlich um den Schutz von Mitschülerinnen und Mitschülern. „Gründe für eine Suspendierung können gewalttätige Auseinandersetzungen, Drogenmissbrauch oder andere Straftaten sein“, sagt Witzemann.

Willi Witzemann ist Vorsitzender des Zentralausschusses in der Personalvertretung für Pflichtschullehrer. <span class="copyright">Beate Rhomberg</span>
Willi Witzemann ist Vorsitzender des Zentralausschusses in der Personalvertretung für Pflichtschullehrer. Beate Rhomberg

Eine Suspendierung bedeute aber nicht, dass der oder die Betroffene für mehrere Wochen, womöglich ohne Aufsicht, daheim bleibt. Die Schulsozialarbeit „Zick Zack“ der Aqua-Mühle Vorarlberg nimmt im Auftrag der Landesregierung Kontakt zu den Erziehungsberechtigten bzw. zum suspendierten Schüler selbst auf und begleitet sie während der außerschulischen Phase.

Krise innerhalb der Familie

Laut Homepage geht es im Programm etwa darum, sich mit der Suspendierung auseinanderzusetzen, Wünsche, Gefühle und Erwartungen mitzuteilen und andere Verhaltensweisen für schwierige Situationen kennenzulernen. „Die versuchen auch, gemeinsam mit dem Elternhaus Lösungen zu finden“, sagt Willi Witzemann. Aber: „Oft ist die Krise auch innerhalb der Familie begründet. Das ist ein ganz großes Spektrum an Problemstellungen.“

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Die wieder gestiegenen Zahlen seien jedenfalls auch für ihn deutlich spürbar gewesen: „So habe ich das noch nie erlebt.“ Begründet sieht Witzemann das vorrangig mit der Pandemie („Freundschaften und Verbindungen haben gefehlt“) und darin, dass „Schüler aus anderen Kulturen“ nicht richtig in ihrer neuen Umgebung angekommen seien – unter anderem Flüchtlingskinder.

„Es gibt aktuell nur vier Krisenbegleitlehrer im Land. Diese haben den Vorteil, dass sie direkt an die Schule kommen und mit dem Schüler Handlungsmöglichkeiten ausarbeiten – das müsste man wieder stark ausbauen.

Willi Witzemann, Zentralausschuss Personalvertretung Pflichtschullehrer (Vorsitzender)

Belastungen für Lehrpersonen seien jedenfalls groß und die Anlaufstellen ausgelastet: „Es gibt aktuell nur vier Krisenbegleitlehrer im Land.“ Diese kommen direkt an die Schulen und machen sich für sechs bis acht Wochen ein Bild. „Doch leider wurden diese etwas zurückgefahren und sind jetzt schon für das Jahr ausgebucht“, sagt Witzemann. „Das müsste man deutlich ausbauen.“ Solche Krisenbegleitlehrer unterstützen Schülerinnen und Schüler zum Beispiel dabei, ihr Verhalten anzupassen. Damit sollen Suspendierungen verhindert werden – und die Zahlen dadurch wieder sinken.