Im Namen des Volkes: Warum Volksbegehren aktuell so beliebt sind

Politik / 18.03.2024 • 20:30 Uhr
Parlament, Parlamentsgebäude
Die griechische Göttin der Weisheit thront vor dem Parlamentsgebäude in Wien. Darüber, ob die Volksvertreter darin oder doch das Volk selbst weiser sind, herrscht aber manchmal Uneinigkeit. Christoph Liebentritt

In den kommenden Monaten sind wieder vier neue Volksbegehren Thema im Parlament. Allein seit 2018 wurden ganze 67 Volksbegehren initiiert.

Wien, Bern Die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger sind nicht sehr fleißig, was das Unterschreiben von Volksbegehren anbelangt. Das zeigt eine Auswertung von Daten des Innenministeriums: Bei den 53 Volksbegehren, die zwischen 2018 und 2023 über die Bühne gingen, lag der Anteil der Unterstützer nur neun Mal über dem Bundes-Schnitt. 44 Volksbegehren hingegen wurden in Vorarlberg von anteilsmäßig weniger Stimmberechtigten unterschrieben als im Rest Österreichs.

Im untersuchten Zeitraum – seit 2018 können Volksbegehren auch von zu Hause aus, mittels Handy-Signatur, unterzeichnet werden – war das „Don’t smoke“-Volksbegehren mit weitem Abstand der Rekordhalter. Und zwar sowohl im Bund als auch im Land. Wie die 14 weiteren Volksbegehren, die bis Montagabend unterschrieben werden konnten, exakt in den einzelnen Bundesländern abgeschnitten haben, ist noch nicht bekannt. Aber klar ist bereits jetzt: Der Nationalrat wird sich in kommenden Wochen mit vier neuen Anliegen aus dem Volk beschäftigen – darunter etwa das „Kein NATO-Beitritt“-Volksbegehren.

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Doch wie ist dieser Boom an Volksbegehren zu erklären? Zwischen 1945 und 2017 wurden gerade einmal 39 Stück initiiert, allein seit 2018 waren es schon 67. Laut dem Politologen Laurenz Ennser-Jedenastik von der Universität Wien, liegt das an der Möglichkeit, diese von zu Hause aus unterschreiben zu können: „Prinzipiell ist gut, wenn viele Leute mitmachen können“, sagt er den VN, aber: „Es stellt sich die Frage, ob wir nicht zu viele kleine Volksbegehren haben, von denen keines mehr sehr viele Unterstützer erreicht und damit sehr wichtig ist.“

Flut an Mini-Volksbegehren

Jedes Volksbegehren, das zumindest 100.000 Unterschriften erreicht, wird im Parlament behandelt – zuerst mittels eines Hearings von Expertinnen und Experten im Ausschuss und schließlich auch direkt im Plenum, inklusive breiter medialer Aufmerksamkeit. In der Praxis sind das aktuell meist stundenlange Blockdebatten zu Beginn von Nationalratssitzungen, die bis in den Nachmittag hinein dauern. Mittlerweile müsse sich das Parlament einer Flut an „Mini-Volksbegehren“ stellen, sagt Ennser-Jedenastik: „Und das ist nicht im Sinne des Erfinders.” Das sei zwar kein großes Problem. Aber das Instrument des Volksbegehrens habe seine Funktion, Themen auf die große politische Bühne zu holen, verloren.

Laurenz Ennser-Jedenastik
Laurenz Ennser-Jedenastik ist Politikwissenschaftler an der Universität Wien – auf diesem Archivbild spricht er gerade bei einer Veranstaltung im Parlament. Parlamentsdirektion/Thomas Topf

Das liege auch daran, dass doch einige der aktuellen Volksbegehren am ursprünglichen Sinn vorbeischrammen würden. Zuletzt forderten etwa 116.832 Wahlberechtigte – 3666 von ihnen aus Vorarlberg –, das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität mit einem weiteren Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität zu bekräftigen. „Die Themenpalette ist zum Teil echt obskur. Aber das ist bei einem Instrument, das eine Alternative zum Agenda-Setting durch die Parteien sein soll, normal“, sagt Ennser-Jedenastik. Nur sei dadurch Folgendes auch klar: „Es raubt einem manchmal ein wenig die Illusion über die Möglichkeiten zum Ausbau der direkten Demokratie.“ Also etwa hin zu einer Möglichkeit für das Volk, selbst eine Abstimmung zu initiieren. Wenn, sollte dies nur in engen Schranken und mit gewissen Hürden umgesetzt werden.

Parlament, Nationalrat, Nationalratssitzungssaal
Immer mehr Österreicherinnen und Österreicher wollen intensiver dabei mitreden, welche Entscheidungen im ansonsten für sie nicht zugänglichen Parlamentsplenum getroffen werden. Christoph Liebentritt

Verschiedene Initiativen wünschen sich dieses „bürgerliche Volksabstimmungsrecht“ in Vorarlbergs Gemeinden zurück, nachdem es vom Verfassungsgerichtshof abgeschafft worden war. Denn Parlamente in Österreich sollen durch das Volk nicht umgangen werden. In der Schweiz ist das hingegen sehr wohl möglich. Dort können Gesetzesbeschlüsse zum Beispiel auch im Nachhinein noch vom Volk blockiert werden (im österreichischen Nationalrat geht das nur, wenn dieser solch eine Abstimmung selbst beschließt).

Dieses offenere Modell habe etwas für sich, sagt Marc Bühlmann, Politikwissenschaftler an der Universität Bern, im VN-Gespräch: „Wenn der Bevölkerung danach ist, kann aus einem obskuren Thema eine sachliche Debatte gemacht werden.“ Das sei wahrscheinlich gesünder, als dem Volk Folgendes auszurichten: „Sorry, ihr seid zu dumm, um mitzuentscheiden.“

Aber, und das sagt wieder Laurenz Ennser-Jedenastik: „Die Demokratie ist kein System zur Durchsetzung der besten Ideen. Sondern nur dafür, Ideen durchzusetzen, die eine Mehrheit haben.“

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