Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Fürsorgliche Eltern

Politik / 23.03.2024 • 08:00 Uhr

Rechts und links sind politische Zuordnungen, die zwar gebräuchlich, zu oft aber unbefriedigend sind. Besonders bei Populisten, die sich nicht auf Basis von Überzeugungen, sondern nach Windrichtungen ausrichten.
Vom amerikanischen Linguisten George Lakoff stammt ein anderer Vorschlag, Zuordnungen vorzunehmen. Auf der einen Seite herrscht demnach der „strenge Vater“, auf der anderen sind „fürsorgliche Eltern“. Der strenge Vater steht hier für eine Autorität, die keine Debatte duldet; er erteilt Befehle und aus. Fürsorgliche Eltern hingegen bemühen sich um Unterstützung auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben; Gespräche, ja Diskussionen, sind dabei sehr wichtig.

Die unterschiedlichen Zugänge gibt es auch in der Politik. Zum Ausdruck kommen sie etwa in Bezug auf Noten. ÖVP und FPÖ legen Wert auf sie. Sie sind der Meinung, dass es wichtig ist, Leistungen und Fähigkeiten auf einer Skala von Eins bis Fünf zu beschreiben. Sozialdemokraten, Grüne und Neos drängen im Gegensatz dazu immer wieder auf eine Abkehr von simplen Noten. An ihre Stelle könnten demnach ausführlichere Beschreibungen treten, die etwa auch Stärken eines Schülers erwähnen, der vermeintlich nichts kann. Dafür haben sie bisher jedoch keine Mehrheit gefunden. Es wirkt, als sei zwar vielen klar, dass es Reformbedarf gibt, weil es im Extremfall ja so sein kann, dass ein „Sehr gut“ an einer Schule ein „Nicht genügend“ an einer anderen ist. Alles in allem aber scheint man sich so sehr daran gewöhnt zu haben, dass man es so hinnimmt.
Viel mehr noch werden die unterschiedlichen Zugänge derzeit in Bezug auf gewalttätige Kinder und Jugendliche sichtbar, die mit Missbrauchsfällen und Messerstechereien in Wien für Schlagzeilen sorgen; in der Regel versehen mit dem Hinweis, dass sie über einen Migrationshintergrund verfügen.

Da gibt es enormen Handlungsbedarf. Die FPÖ fordert im Sinne des strengen Vaters, allenfalls auch gegen Kinder mit voller Härte vorzugehen. Dafür drängt sie auf eine Senkung der Strafmündigkeit auf unter 14 Jahre. Die ÖVP ist gesprächsbereit. Sozialdemokraten, Grüne und Neos lehnen das ab, sie würden Integration sowie Kinder- und Jugendhilfe verstärken.

Auch für einen Staat wäre es einfacher, einen Zwölfjährigen wegzusperren und büßen zu lassen. Dann wäre sein Leben jedoch erledigt.

FPÖ und ÖVP verweisen bei alledem gerne auf die Schweiz, wo die Strafmündigkeit mit zehn beginnt. Was sie unterschlagen, ist jedoch, dass dort in Wirklichkeit eher ein Modell gepflegt wird, das fürsorglichen Eltern entspricht: Für Kinder gibt es keine Haft. Strafmündigkeit ist vielmehr ein Hebel für den Staat, zu prüfen, welche erzieherischen Maßnahmen zu setzen sind, damit das weitere Leben möglichst im Rahmen der Gesetze verläuft; damit es gut werden kann.

Das ist selbstverständlich einfacher gesagt als getan: Fürsorgliche Eltern stoßen regelmäßig an ihre Grenzen. Auch für einen Staat wäre es einfacher, einen, sagen wir, Zwölfjährigen wegzusperren und büßen zu lassen. Dann wäre sein Leben jedoch erledigt. Es ist daher wichtig, sich anzustrengen. Auch wenn die Herausforderungen bei einem Buben in diesem Alter, der vielleicht schon Krieg und Flucht erlebt hat, der weder Vater noch Mutter hat, schier unendlich sind: So lange es nur irgendwie geht, sollte man sich bemühen. Es geht auch dann um ein Kind, wenn es Blut an seinen Händen hat.

Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.