Für ein Drittel der Eltern ist der Klaps immer noch eine Option

Politik / 08.04.2024 • 18:20 Uhr
APA8733904-2 – 26072012 – ST. P…LTEN – …STERREICH: ZU APA-TEXT CI – Ein Mann hŠlt eine unbekleidete Puppe am Hals, am Montag, 25. Februar 2008 (gestellte Szene). APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
Häusliche Gewalt gegen Kinder ist trotz Verbots regelmäßig Thema – hier illustriert und nachgestellt mittels Puppe. APA/Helmut Fohringer

Gewalt in der Kindererziehung ist zwar schon längst verboten, aber immer noch Thema. Auch in Vorarlberg.

Wien, Bregenz Eigentlich ist der Fall eindeutig. Seit 1989 gilt in der Erziehung von Kindern ein absolutes Gewaltverbot: „Die Anwendung jeglicher Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides sind unzulässig“ steht seit über 30 Jahren im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch. Außerdem gilt seither auch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, seit 2011 steht zudem das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung in der Verfassung. Doch die Realität hinkt dem geltenden Recht immer noch hinterher. Wohl niemand will sein Kind erniedrigen. Doch ein kleiner Klaps oder gar eine Watsche tun genau das, betonen Jutta Lutz-Diem vom Institut für Sozialdienste und Kathrin Stocker vom Vorarlberger Kinderdorf.

Einer aktuellen Umfrage im Auftrag von Familienministerin Susanne Raab zufolge ist die „g’sunde Watschn“ dennoch immer noch verbreitetes Erziehungsmittel in Österreich. 32 Prozent der befragten Elternteile halten die Aussage „Ein kleiner Klaps ab und zu schadet keinem Kind“ für „richtig“ oder zumindest für „teilweise richtig“. Und für 33 Prozent der Eltern ist an folgendem Satz etwas dran: „Eltern sollten Kinder nicht schlagen, aber manchmal darf man schon mit einem Klaps nachhelfen.“

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Aus der Studie geht außerdem hervor, dass sich diese Werte in den vergangenen Jahren kaum verändert haben. 2014 waren noch 12 Prozent der Elternteile vollkommen davon überzeugt, dass ein gelegentlicher kleiner Klaps keinem Kind schade, 2023 waren es dann 8 Prozent. Doch warum ist das so? Ein Anruf bei Jutta Lutz-Diem. Sie ist Leiterin der für den Kinderschutz zuständigen Abteilung im Institut für Sozialdienste: „Wir sind auf einem guten Weg, aber es gibt noch Luft nach oben“, sagt sie im Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten.

Für ein Drittel der Eltern ist der Klaps immer noch eine Option
Jutta Lutz-Diem leitet den Kinderschutz im Institut für Sozialdienste. Institut für Sozialdienste

Der allergrößte Teil der Eltern sei sehr bemüht, eine gewaltfreie Erziehung umzusetzen, sagt die Psychologin, aber: „Es gibt immer noch Familien, die die Ohrfeige oder den Klaps als aus ihrer Sicht probates Erziehungsmittel verwenden. Sie haben es auch so in ihrer eigenen Kindheit erlebt und gelernt. Das wird oft verharmlost und als ‘gesunde Watsche’ schöngeredet.“

Doch für Jutta Lutz-Diem ist klar: „Es gibt keine gesunde Watsche.“

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Für viele Erwachsene gelte Gewalt aber immer noch als ‚einfache Lösung‘, sagt sie: „Ein Kind beim Aufwachsen zu begleiten und zu unterstützen, erfordert viel Zeit und Energie. Eltern wissen dann oft nicht, wie sie gut mit ihren Problemen umgehen können. Die wenigsten schlagen ihre Kinder, weil sie keine guten Eltern sind, sondern eher wegen Überforderung.“ Dennoch sei erschreckend, dass viele Kinder solche Erziehungsmaßnahmen als normal erleben: „Sie vertrauen sich deswegen lange niemandem an.“

“Eine sehr große Erniedrigung”

Und was macht körperliche Gewalt zu Hause mit heranwachsenden Menschen? Jutta Lutz-Diem spricht von großen Auswirkungen auf die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen: “Wir wissen, dass sie oft nicht so zuverlässig erwachsen werden können. Und dass sie zum Beispiel auch selbst keine guten Handlungsstrategien entwickeln können, wenn es um den Umgang mit Kindern geht.” Das sei aber bitter notwendig: “Jemanden in das Gesicht zu schlagen, ist eine sehr große Erniedrigung.”

Für ein Drittel der Eltern ist der Klaps immer noch eine Option
Kathrin Stocker leitet die Stabsstelle Kinderschutz im Vorarlberger Kinderdorf. Vorarlberger Kinderdorf/Stefan Fritsche

Ähnlich formuliert es Kathrin Stocker. Die Gesundheits-Psychologin und Sozialpädagogin leitet die Stabsstelle Kinderschutz im Vorarlberger Kinderdorf. “Jede Gewalterfahrung – da gehört so ein kleiner Klaps dazu – verletzt die Würde von Kindern und Jugendlichen. Das ist eine körperliche und psychische Grenzverletzung”, sagt sie den VN. Und das gelte noch vielmehr, wenn sie von den eigenen Eltern komme: “Das sind oft die einzigen engen und wichtigsten Bezugspersonen. Kinder werden also verunsichert, traurig und empfinden Scham.”

“Kinder brauchen Menschen um sie herum, für die es nicht in Ordnung ist, wenn sie Gewalt erfahren. Wir alle haben die Verantwortung, darauf zu schauen, dass die Gesellschaft gewaltfrei ist.”

Kathrin Stocker, Vorarlberger Kinderdorf (Stabsstelle Kinderschutz)

Erschreckend seien außerdem die Zahlen aus der Studie, wonach 56 Prozent der Gesamtbevölkerung einen kleinen Klaps als „richtig“ oder „teilweise richtig“ empfinden. Das berge eine große Gefahr, sagt Kathrin Stocker: „Auf der einen Seite gibt es natürlich die Eltern, die Erziehung so zu gestalten haben, dass sie gewaltfrei ist. Aber wir haben auch alle die Verantwortung, darauf zu schauen, dass unsere Gesellschaft gewaltfrei ist.“

„Denn ich bin mir ziemlich sicher. Gewalt in der Erziehung kommt häufiger vor, als wir alle wissen und als Menschen zugeben würden.“

Für den Kinderschutz gibt es im Land verschiedene Institutionen und Ansprechpartner, unter anderem das Institut für Sozialdienste oder die Kinder- und Jugendanwaltschaft. Einen Überblick bietet diese Seite des Landes. Etwa die Rat-auf-Draht-Elternseite ist zudem explizit für Eltern unterstützend tätig.

ABD0066_20240408 – WIEN – …STERREICH: vlnr.: Sozialminister Johannes Rauch, Justizministerin Alma Zadic, Familienministerin Susanne Raab und JugendstaatssekretŠrin Claudia Plakolm am Montag, 08. April 2024, im Rahmen einer PK zu Thema “Kinderschutzkampagne der Bundesregierung” in Wien. – FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Sozialminister Johannes Rauch, Justizministerin Alma Zadic, Familienministerin Susanne Raab und Staatssekretärin Claudia Plakolm (v.l.n.r.) präsentierten am Montag eine gemeinsame Kinderschutzkampagne der Bundesregierung. APA/Georg Hochmuth