“Ich will einmal Ärztin werden”

Politik / 16.04.2024 • 17:48 Uhr
Johannes Rauch ist im Lerncafe zu Gast. Thema IPTC Lerncafé der Caritas Vorarlberg
Qamile und Mohammad lernen Mathe. VN/Paulitsch

Bildung ist der Schlüssel im Kampf gegen drohende Kinderarmut. Ein anderer wäre die Kindergrundsicherung, wirbt Sozialminister Johannes Rauch bei seinem Besuch im Caritas Lerncafé.

Feldkirch Qamile (9) und Mohammad (13) sitzen vor einem Blatt mit vielen Zahlen und Rechenaufgaben. Mohammad erklärt, was Qamile als Nächstes tun muss – er hilft ihr bei den Hausaufgaben. Beide kommen regelmäßig ins Caritas Lerncafé nach Feldkirch, um zu lernen, Mohammad seit vielen Jahren. Und beide haben Ziele: “Ich will einmal Arzt werden”, sagt Mohammad. Qamile fügt an: “Und ich will Ärztin werden.” Sie haben im Lerncafé ein soziales Umfeld, können abschalten und vor allem: Sie können lernen. Und das ist wichtig. Vorarlbergs Kinder- und Jugendanwalt Christian Netzer betont: “Bildung ist ein großer Hebel, um Armutsgefährdung durchbrechen zu können.” Sozialminister Johannes Rauch wirbt für einen weiteren Hebel: die Kindergrundsicherung. Er möchte noch vor der Wahl ein Modell präsentieren, die neue Regierung soll es umsetzen.

Johannes Rauch ist im Lerncafe zu Gast. Thema IPTC Lerncafé der Caritas Vorarlberg
Qamile und Mohammad im Lerncafé. VN/Paulitsch

Wer sich fragt, wie es den Kindern und Jugendlichen in Vorarlberg geht, kann sich Zahlen ansehen, unter anderem die EU-Silc-Erhebung. Laut dieser Untersuchung waren in Vorarlberg im Jahr 2021 21 Prozent aller null bis 14-Jährigen armutsgefährdet. Im Jahr darauf waren es 18 Prozent. Damit liegt sie knapp unter dem Österreichschnitt. Bei den 15- bis 24-Jährigen waren es im Jahr 2022 allerdings 35 Prozent. Michael Diettrich von der Vorarlberger Armutskonferenz erläutert: “Bei den 15- bis 24-Jährigen sind die beiden Gefährdungsquoten eklatant hoch. Zwar gibt es da eine größere Schwankungsbreite, aber selbst mit dieser Einschränkung ist das im Bundesvergleich sehr auffällig.”

Johannes Rauch ist im Lerncafe zu Gast. Thema IPTC Lerncafé der Caritas Vorarlberg
Gülsah Inan leitet das Lerncafé in Feldkirch. VN/Paulitsch

Auch andere Zahlen zeigen, wie es Vorarlbergs Kinder und Jugendlichen geht – etwa jene der ARGE Wohnungslosenhilfe. Die Zahl der Menschen, die sich in den Institutionen der Wohnungslosenhilfe im Land beraten lassen, ist stark gestiegen. Von 1988 Personen im Jahr 2022 auf 2833 im Jahr 2023. Darunter viele Familien. Im Jahr 2023 waren 1030 Minderjährige betroffen. Im Jahr zuvor noch 607. “Das ist im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von 70 Prozent”, heißt es dazu im Bericht der ARGE.

Johannes Rauch ist im Lerncafe zu Gast. Thema IPTC Lerncafé der Caritas Vorarlberg
Johannes Rauch war im Lerncafé zu Gast. VN/Paulitsch

Im Feldkircher Lerncafé werden insgesamt 60 Kinder betreut, erklärt Leiterin Gülsah Inan. “Wir haben aber noch 20 auf der Warteliste”, fährt sie fort. Einer davon ist Mohammad, der 2015/2016 aus Syrien geflohen ist. Mittlerweile unterstützt er Neuankömmlinge. Seiner Schwester hat das Lerncafé auch geholfen: Sie kommt im Herbst in die HAK. Gülsah Inan ist überzeugt: “Hier ist es nicht nur wichtig, dass sie lernen. Sie werden hier akzeptiert, wie sie sind.”

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Kinder- und Jugendanwalt Christian Netzer fasst zusammen: “Den Kindern und Jugendlichen im Land geht es grundsätzlich zu einem Großteil gut. Aber die Herausforderung für jene, denen es nicht so gut geht, ist, dass die Themen immer breiter werden.” Derzeit gebe es keinen Schwerpunkt. “Wir sehen die ganze Bandbreite”, führt Netzer aus. “Mobbing, Zukunftsängste, Inflation, zuletzt auch die Strafmündigkeitsdebatte, bei der man Jugendliche so darstellt, als wären alle kriminell.”

Johannes Rauch ist im Lerncafe zu Gast. Thema IPTC Lerncafé der Caritas Vorarlberg
“Wie ist es, ein Bundesminister zu sein?” VN/Paulitsch

Die Teuerung belaste Familie besonders. “Das spüren auch die Kinder. Denn Familienarmut ist automatisch Kinderarmut.” Der Idee einer Kindergrundsicherung kann er etwas abgewinnen. “Wichtig ist, dass sie alle bisherigen Leistungen zusammenfasst, niederschwellig und vielleicht sogar automatisiert erfolgt, wie die Familienbeihilfe.”

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Niederschwellig – so lautet auch das Ziel von Sozialminister Johannes Rauch. “Es soll kein Bürokratiemonster sein. Wir wollen keine Verschlimmbesserung.” Laut einer OECD-Studie koste Kinderarmut den Staat rund 17 Milliarden Euro pro Jahr (inklusive aller Folgekosten). Rauch zählt 20 bis 25 verschiedene Leistungen für Kinder, die zusammengefasst werden könnten. Sachleistungen wie Geldleistungen. Derzeit befasst sich eine Arbeitsgruppe mit dem Thema, bis zur Wahl soll ein Entwurf stehen. Auch in Vorarlberg arbeitet derzeit eine Arbeitsgruppe dazu. Möglicherweise als Vorleistung einer Pilotregion.

Johannes Rauch ist im Lerncafe zu Gast. Thema IPTC Lerncafé der Caritas Vorarlberg
Wilfried Berchtold lernt mit Baran. VN/Paulitsch

Bis es so weit sein könnte, wird der zwölfjährige Baran schon eine Schule weiter sein. Er sitzt ebenfalls im Lerncafé, seit einigen Monaten kommt er her. Jetzt sitzt er mit Ex-Bürgermeister Wilfried Berchtold am Tisch und lernt Artikel. Am Tisch daneben steht Mohammad auf. Er geht zum Minister und fragt: “Wie ist es, ein Bundesminister zu sein?” Rauch antwortet, fragt: “Und was willst du als Nächstes machen?” Antwort Mohammad: “Aufs Gymnasium gehen.”

Johannes Rauch ist im Lerncafe zu Gast. Thema IPTC Lerncafé der Caritas Vorarlberg
Die Kinder erzählen stolz, was sie schon gelernt und geleistet haben. VN/Paulitsch