“Man darf sich nicht von den Untergangspropheten jagen lassen”

Politik / 19.04.2024 • 14:21 Uhr
Mercedes Schneider
Wolfgang Schüssel war auf Einladung von Wirtschaftsbund-Obmann Marco Tittler (links) und Wirtschaftsbund-Geschäftsführer Christoph Thoma (rechts) in Dornbirn. VN/Hartinger

Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sprach in Dornbirn über die wirtschaftliche Konkurrenz zu China, Klimawandel, Ukraine und die Neutralität.

Dornbirn Wolfgang Schüssel kennt die österreichische Innenpolitik. 1989 gehörte er erstmals einer Regierung an, von 1995 bis 2007 führte er die ÖVP, von 2000 bis 2007 zudem als Bundeskanzler die Regierung. Er könnte die aktuelle politische Situation in Österreich also fundiert analysieren – möchte er aber nicht. Viel lieber spricht er bei seinem Besuch auf Einladung des Wirtschaftsbundes über die EU, Ukraine und die Neutralität. Die – sagt Schüssel – gelte in manchen Fällen sowieso nicht mehr. Etwa, wenn es ein EU-Mandat für Militäreinsätze gibt. Dann könne Österreich teilnehmen, ohne die Neutralität zu verletzen. Das habe mit einer Verfassungsänderung im Rahmen des EU-Beitritts zu tun, sagt der Ex-Bundeskanzler.

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Schüssel und Tittler sehen die EU als Garant für den wirtschaftlichen Erfolg. VN/Hartinger

Schüssel erinnert sich: “Als wir beigetreten sind, war die Sorge, dass wir mit der Neutralität die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bremsen oder gar verhindern.” Deshalb habe man die Verfassung geändert. “Und seitdem ist es so, dass wir alles machen können, wenn es ein EU-Mandat gibt. Wir können Sanktionen voll mittragen, wir können auch an militärischen Missionen der EU teilnehmen.” Ob Österreich also auch Waffen liefern könnte, wenn es ein EU-Mandat gibt? Schüssel möchte nicht auf “was wäre wenn”-Fragen antworten, wie er sagt. Außerdem: “Wir können gar keine Waffen liefern, weil wir gar keine haben. Auch militärisch können wir aufgrund unserer ausgedünnten militärischen Fähigkeiten wenig machen. Wir sollten unser Bundesheer stärker aufpäppeln.”

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Wolfgang Schüssel: “das sind alles echte Probleme. Aber in Wirklichkeit können wir uns zutrauen, da gut herauszukommen.” VN/Hartinger

Insgesamt sieht Schüssel zwar viele Herausforderungen in der Welt, möchte aber optimistisch bleiben. “Man darf sich nicht von den Untergangspropheten und Apokalyptikern jagen lassen”, betont Schüssel. “Man hört von ihnen: Wir werden den Druck der Chinesen nicht standhalten. Die Amerikaner werden uns übervorteilen. Die Russen werden uns überrennen. Der Klimawandel wird uns ruinieren”, sagt er und fährt fort: “Ja, das sind alles echte Probleme. Aber in Wirklichkeit können wir uns zutrauen, da gut herauszukommen.”

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Schüssel im Gespräch mit der Dornbirner Bürgermeisterin Andrea Kaufmann. VN/Hartinger

Die EU sei zwar nicht perfekt, ist auch Schüssel überzeugt. “Aber sie ist eine ganz gute Möglichkeit, mit all diesen Problemen besser fertig zu werden. Kein einziges davon kann man alleine lösen. Man muss sie nicht lieben, sie ist ein Konstrukt. Aber sie ist ein wirklich gutes Projekt mit nachweislich zählbaren Erfolgen.” Auch wirtschaftlich, schließlich habe sich die Wirtschaftskraft seit dem EU-Beitritt stark erhöht. Umgekehrt sehe man gerade bei den Briten, was geschieht, wenn man den EU-Binnenmarkt verlässt, fährt Schüssel fort – der die Briten in der EU vermisst. “Einerseits haben wir gerade gesehen, wie wichtig die Zusammenarbeit der Geheimdienste ist. Andererseits haben die Briten den marktwirtschaftlichen Gedanken in der EU stark vertreten. Ohne Briten hat sich die Balance ein bisschen verschoben.”

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Der Wirtschaftsbund lud eine Rund von Journalistinnen und Journalisten zum Gespräch mit Wolfgang Schüssel. VN/Hartinger

Und dann entweicht Schüssel doch noch ein bisschen Innenpolitik. Die Politik dürfe sich nicht nur der Tagespolitik widmen, sagt er. “Dann ist man in Sachzwängen gefangen. Aber eigentlich sollte die Politik auch immer vorausahnen, vorausplanen und vorausdenken.” Gerade in der heutigen Zeit – weil die Herausforderungen beachtlich sind, sagt Schüssel.