Die unterbesetzte Justiz: „Wir sind keine Aktenerlediger, wir sind Richter“

Was ein überlastetes Justizsystem mit den Menschen macht, die dahinterstehen.
Wien, Bregenz Die Justiz schlägt Alarm. Laut dem Präsidenten der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter sind „zeitnah“ mehr als 100 zusätzliche Planstellen an den Bezirks- und Landesgerichten notwendig. Nur dann könne der tatsächliche Bedarf gedeckt werden, sagt Gernot Kanduth den Vorarlberger Nachrichten: „Das ist sicher eine der Hauptaufgaben der nächsten Regierung.“ Auch hierzulande ist laut Kanduth der Bedarf evident – sowohl am Landesgericht in Feldkirch als auch an den Bezirksgerichten in Bezau, Bludenz, Bregenz, Dornbirn und Feldkirch.

Denn laut der Personalanforderungsrechnung des Justizministeriums fehlten zu Jahresbeginn an den Vorarlberger Bezirksgerichten Planstellen für zweieinhalb Richterinnen, am Landesgericht für fünfeinhalb Richter. Weil dort zuletzt aber eine Stelle geschaffen wurde, sagt Kanduth: „In Vorarlberg fehlen mindestens sieben Richter.“ Im Oktober 2023 sagte Angelika Prechtl-Marte, Präsidentin des Landesgerichts, dass sie sich für Vorarlberg zehn richterliche Planstellen zusätzlich wünsche: „Und auch dann wäre niemandem langweilig.“

Wie dieser nicht langweilige Alltag einer Richterin ausschaut, weiß Yvonne Summer vom Landesgericht Feldkirch, zweite Vizepräsidentin der Vereinigung: „Die meisten Richter haben ein hohes Berufsethos und wollen nicht, dass die Parteien die Situation ausbaden müssen. Momenten wird die mit hohem Aufwand kompensiert.“ Also stehe oft Arbeit an Abenden und Wochenenden auf der Tagesordnung, sagt Summer: „Aber auf Dauer 120 oder 130 Prozent zu arbeiten, geht halt nicht. Und einfach ‘business as usual’ macht auch niemand.“ Denn man sei sich in der Richterschaft natürlich den Auswirkungen langer Verfahren bewusst: „Das ist auf vielen Ebenen existenziell. Im Familienrecht zum Beispiel, wo jede Woche eine Katastrophe ist, in der ein Elternteil sein Kind nicht sehen kann.“ Also arbeite man auch über das normale Ausmaß hinaus, dennoch gelte: „Wir sind keine Aktenerlediger, wir sind Richter“, sagt Yvonne Summer.

Der Richterberuf sei zwar immer noch großartig, aber: „So verantwortungsvoll und spannend diese Tätigkeit auch ist, müssen die Rahmenbedingungen passen.“ Und da gehöre auch eine bessere Perspektive in die Zukunft – eben dank zusätzlicher Planstellen – dazu. Oder, wie es Gernot Kanduth bezeichnet: „Durchzubeißen geht nur, wenn sich bald etwas ändert.“
Dauer der Urteilsausfertigung
Zwischen Mitte 2022 und Mitte 2023 an Vorarlberger Gerichten, durchschnittlich:
– in Zivilsachen an den Bezirksgerichten: 37,6 Tage
– in Strafsachen an den Bezirksgerichten: 26,5 Tage
– in Zivilsachen am Landesgericht: 44,6 Tage
– in Strafsachen am Landesgericht: 47,2 Tage
Rechtsmittelverfahren am Landesgericht Feldkirch haben im Jahr 2023 durchschnittlich 2,3 Monate in Anspruch genommen.
Laut einer Sprecherin des Justizministeriums sind derzeit alle richterlichen Planstellen in Vorarlberg besetzt. „Es sind bei den Bezirksgerichten insgesamt 31 Planstellen und 32 beim Landesgericht“, heißt es aus dem Ressort zu den VN: „Das sind zwei zusätzliche Planstellen seit 2018.“ Im vergangenen Jahr dauerten 95 Prozent der 1680 strafrechtlichen Hauptverfahren weniger als ein Jahr und nur elf Stück fünf Jahre und länger.

Diese Werte zu halten, wird laut der Richtervereinigung aber schwierig: Auch weil vor allem in Zivilsachen zuletzt ein starker Anstieg zu bemerken gewesen sei, in vereinzelten Sparten in Vorarlberg um bis zu 20 Prozent, sagt Gernot Kanduth. Auch gesundheitliche Auswirkungen kommen laut ihm bei Richterinnen und Richtern regelmäßig vor.

Also erhalten sie auch Unterstützung von anderer Seite. Andrea Concin ist Vizepräsidentin der Vereinigung österreichischer StrafverteidigerInnen: „Das kann man nur begrüßen. Die meisten Richter sind extrem engagiert“, sagt sie den VN. Die Richterschaft hätte unglaublich viel auszuhalten: „Das Thema macht uns betroffen.“ Und natürlich seien auch ihre Mandanten froh, wenn über ihre Haft schneller entschieden wird: „Vor allem, wenn das Menschen tun, die nicht immer unter Strom stehen müssen.“
