Migrantinnen in der Politik: Es war ein langer Weg

Politik / 26.05.2024 • 16:40 Uhr
Migrantinnen in der Politik: Es war ein langer Weg
Vahide Aydin war die erste Abgeordnete mit Migrationshintergrund im Vorarlberger Landtag. VN/Hartinger

Studie zeigt: 2020 waren bereits elf Prozent aller Kandidatinnen und Kandidaten bei der Gemeindewahl Menschen mit Migrationshintergrund. Zwei Vorreiter erinnern sich.

Schwarzach Vahide Aydin kann sich noch gut erinnern: “Als ich in die Politik bin, habe ich direkt im Wahlkampf mit Klinkenputzen begonnen. Die Hausbesuche waren durchwegs kontrovers. Aber ich habe gut dagegen halten können.” Auch Adnan Dincer weiß noch, wie es war. “Es hat sehr großen Gegenwind gegeben, als wir die Kandidatur erklärt haben.” Sein Bruder, Attila Dincer, sorgte schließlich für folgende Überschrift in einer Tageszeitung: “In Dornbirn zieht Österreichs erster Türke in die Gemeindevertretung ein.” Das war im Jahr 2000. Seitdem sind 24 Jahre vergangenen. Dass Menschen mit Migrationshintergrund in einer politischen Vertretung sitzen, ist mittlerweile nichts Außergewöhnliches mehr. Das zeigt auch eine Studie über die politische Partizipation von Migrantinnen und Migranten. Oder, wie es Vahide Aydin ausdrückt: “Nach meiner Kandidatur hat es einen Aydin-Effekt gegeben.”

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Vahide Aydin bei ihrer Angelobung am 4. November 2009. VN/Uher

Die Projektstelle okay.zusammenleben hat sich die Landtagswahl 2019, die Arbeiterkammerwahl 2019 und die Gemeindewahlen 2020 angesehen. 61 von 96 Vorarlberger Gemeinden haben ihre Daten der Forschung zur Verfügung gestellt, mit diesen Gemeinden ist 85 Prozent der Vorarlberger Bevölkerung umfasst. Die Studienautorinnen arbeiteten unter anderem mit dem sogenannten Onomastik-Verfahren, mit dem Personennamen bestimmten Regionen oder Sprachräumen zugeordnet werden können. Das Ergebnis: Bei der Gemeindewahl 2020 hatten elf Prozent der Kandidaten einen Migrationshintergrund, unter den Mandataren waren es nach der Wahl fünf Prozent.

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Eva Grabherr von okay.zusammenleben fasst zusammen: “Bei der AK-Wahl sind wir weiter als bei der Landtagswahl und der Gemeindewahl. Wir sind noch nicht dort, wo wir sein sollten. Aber man sieht auf allen Ebenen ein Vorwärtsgehen.” Vor allem in der Emotion: “Als das NBZ erstmals bei der AK-Wahl angetreten ist, dachte man, die Welt geht unter. Fünf Jahre später haben die Parteien kooperiert, heute ist es keine Rede mehr wert.”

Migrantinnen in der Politik: Es war ein langer Weg
VN-Bericht vom 26. Februar 2000.

Adnan Dincer wollte damals bei der AK-Wahl 1999 nicht mit einer eigenen Liste kandidieren, erzählt er. “Wir haben damals alle Fraktionen abgeklappert mit der Bitte, auf einem wählbaren Listenplatz zu kandidieren. Jede Fraktion hat es abgelehnt, worauf wir die Idee hatten, dass wir das selbst stemmen können.” Das NBZ erreichte mehr als sieben Prozent. “Wir haben dann auch als Ziel gesetzt, dass Migranten, die Ja zum Land gesagt haben, auch ins politische Geschehen involviert werden. Auch auf Landesebene und Bundesebene.”

Migrantinnen in der Politik: Es war ein langer Weg
Adnan Dincer bei der AK-Wahl 2004. Es war bereits seine zweite AK-Wahl. VN/Hartinger

Zehn Jahre später, im Jahr 2009, war es wieder Vahide Aydin, die als erste Abgeordnete mit Migrationshintergrund im Landtag angelobt wurde. “Ich weiß noch, wie mich am Wahlabend Johannes Rauch umarmt und gesagt hat: Ich habe in Dornbirn das vierte Mandat gerettet. Die Vorzugsstimmen kannte ich da noch nicht. Und plötzlich hat jemand gesagt, dass ich das Grundmandat erobern könnte.” So landete Vahide Aydin im Landtag – und sorgte gleich für Diskussionen. “Bei der Angelobung kamen auch Frauen mit Migrationshintergrund, die zuvor nie im Landhaus waren. Ich habe dann spontan “ich gelobe” auch auf türkisch gesagt, was bei der FPÖ für große Aufregung sorgte.”

Eva Grabherr: "Die meisten brauchen die Aufforderung nicht."
Eva Grabherr hat sich gemeinsam mit ihrem Team die politische Mitbestimmung von Migrantinnen und Migranten angesehen. VN

Adnan Dincer hat heuer erneut bei der AK-Wahl kandidiert und ist wieder in der Vollversammlung gelandet. “Ich habe mich geweigert, erneut im Integrationsausschuss zu sitzen”, betont er. Auch Migrantinnen und Migranten sollten in jene Gremien gewählt werden, in denen sie Experten sind. “Ein Jurist gehört in den Rechtsausschuss, ein Finanzexperte in den Finanzausschuss, ein Sozialarbeiter in den Sozialausschuss. Und nicht immer alle in den Integrationsausschuss.” Aydin wird zukünftig keinem Ausschuss mehr angehören. Sie tritt bei der Landtagswahl im Herbst nicht mehr an, und vermisst eine Nachfolgerin auf der eigenen Liste. “Integrationspolitik kann man unabhängig von Migrationshintergrund machen. Man muss für das Thema brennen. Aber es fehlt das Gesicht für Migration und Integration auf der kommenden Liste.” Sie glaubt zwar, dass ihre Partei das Thema weiterhin sehr gut betreuen werde, ist aber froh, zumindest auf einer anderen Liste einen Kandidaten mit Migrationshintergrund zu finden. “Mit Cenk Dohan hat die ÖVP wohl bald einen Mandatar in den Reihen, der das Gesicht für gelungene Integration sein kann. Das tröstet mich, auch wenn er bei einer anderen Partei zu finden ist.” Selbst Frauen mit Kopftuch finden sich mittlerweile auf Listen der ÖVP, fährt Aydin fort. “Das wäre wohl vor 15 Jahren unmöglich gewesen”, sagt sie.

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Cenk Dohan wird auf Platz eins der ÖVP-Landesliste kandidieren. Der Bludenzer ist 31 Jahre alt und kennt den Gegenwind, den Dincer und Aydin bei ihren ersten Kandidaturen gespürt haben, nicht mehr. “Es ist positiv aufgenommen worden, dass sich ein junger Mensch engagieren möchte. Mein Name oder mein Migrationshintergrund hat nie eine Rolle gespielt, weder positiv noch negativ. Zumindest habe ich das nie gespürt.” Er betont: “Es ist viel passiert in der Gesellschaft. Es muss dafür immer Personen geben, die etwas als erste tun.” Wie die Gebrüder Dincer. Und wie Vahide Aydin.

Die im Text angesprochene Studie finden Sie hier.