Gute EU, böse EU
540 Kilometer liegen zwischen Brüssel und Bregenz. Manchmal sind es Welten. Brüssel, die EU, Europa … ein Sündenbock für alle Fälle. Verantwortungsträger putzen sich gerne ab, die Rechnung bekommen sie in Umfragen präsentiert. Das sollte zu denken geben.
Wer Zweifel sät, wird Misstrauen ernten. Abzulesen in der jüngsten Eurobarometerumfrage. 53 Prozent der Vorarlbergerinnen und Vorarlberger sehen die Zukunft der EU pessimistisch und nur 40 Prozent optimistisch. Eine Umfrage der „Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik“ zeigt außerdem: 47 Prozent spüren positive Auswirkungen der EU im Land, 24 Prozent negative. Im Osten Österreichs ist Brüssel noch unbeliebter: In Niederösterreich sehen 28 Prozent positive Auswirkungen der EU-Mitgliedschaft, 33 Prozent negative. Die EU als Sündenbock hat sich in den Köpfen festgesetzt.
Es sind Diskussionen wie jene über die Allergenverordnung, die im Österreich der vergangenen Jahre das Bild der EU geprägt haben. Seitdem bekommt man nicht nur zum Schnitzel einen Buchstabensalat serviert. Allerdings: Brüssel schrieb nur die Richtung vor. Für die Umsetzung in dieser Art war der österreichische Nationalrat zuständig.
Können Sie sich an die Gurkenkrümmung erinnern? Eigentlich ein trockenes Thema: Normen und Handelsklassen sind wesentlich älter als die EU, wie wir sie heute kennen. Ende der 1960er-Jahre hat Österreich in einem Gesetz Lebensmittel in Qualitätsklassen eingeteilt. Einige sollen sich schon damals darüber lustig gemacht haben, schreibt die Wirtschaftskammer in einer Auflistung der EU-Mythen. 2009 hat die EU-Kommission die EU-Norm für die Gurkenkrümmung abgeschafft – zum Leidwesen mancher Mitgliedstaaten.
Neues Beispiel: Renaturierungsverordnung. Was hier alles im Umlauf ist! Enteignung, schreien manche. Landeshauptmann Markus Wallner befürchtet, dass in Kompetenzen des Landes eingegriffen wird. Andere beschwören ein Artensterben herauf, sollte die Renaturierungsverordnung nicht beschlossen werden. Mögen Argumente beider Seiten ihre Berechtigung haben – die Debatte hat längst den Boden einer argumentativen Auseinandersetzung verlassen. Was bleibt ist die Wahl zwischen „die Tiere und Pflanzen werden sterben“ und „die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln ist bedroht“. Eine Seite lässt Kritik an Vorschlägen aus Brüssel nicht gelten, die andere Seite befeuert Ressentiments gegen „die in Brüssel“. Umfragen wie die oben geschilderten sind deshalb wenig überraschend.
Es ist ein allgemein beliebtes politisches Kommunikationsmittel, die Verantwortung auf andere zu schieben. Aber ein Match „die EU“ gegen „die Mitgliedsstaaten“ gibt es nicht. Die EU ist die Summe der 27 Mitglieder. Sie ist die Kommission, in der Kommissarinnen und Kommissare aller 27 Mitglieder sitzen. Und sie ist das Parlament, mit Abgeordneten aus allen Staaten. Abgeordnete, die wir am Sonntag wählen.
Kritik an der Politik der Mitgliedsstaaten, der Kommission und des Parlaments ist erlaubt – sogar nötig. Niemand ist gegen die EU, weil er die Politik kritisiert. Die EU für das Schlechte verantwortlich zu machen, ist aber keine Kritik. Wir selbst entscheiden, was in Brüssel bestimmt wird. Wenn es uns nicht gefällt, können wir unsere Unzufriedenheit mit unserer Stimme artikulieren. Denn wir bestimmen, wer „die in Brüssel“ sind.
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