Wer ist die streitbare grüne Umweltministerin? “Ich habe mixed Emotions”

Politik / 18.06.2024 • 18:43 Uhr
Bürgermeister Kurt Fischer und Verkehrsministerin Leonore Gewessler bei einem Lokalaugenschein in Lustenau vor zwei Jahren.  Gde
Leonore Gewessler und Bürgermeister Kurt Fischer beim Zebrastreifen über die Reichsstraße kurz vor der Grenze. Auf der anderen Seite: ein Kindergarten.Lustenau

Leonore Gewessler polarisiert. Nicht erst seit ihrer Zustimmung zum Renaturierungsgesetz hat sie vor allem in der ÖVP kaum Freunde.

Schwarzach Zwei Stunden habe sich Leonore Gewessler Zeit genommen, erinnert sich Lustenaus Bürgermeister Kurt Fischer. “Das ist für eine Ministerin nicht alltäglich.” Fischer und Gewessler fuhren mit dem Fahrrad vom Millenium Park an der Hauptstraße entlang bis fast zur Grenze. “Die Ministerin hat einmal live erfahren, weshalb man sonst über Lustenau redet. Ich habe sie menschlich und persönlich sehr positiv in Erinnerung”, erzählt der Bürgermeister. Anders sieht es aus, wenn es um die Politik geht. “Da überwiegt Befremden, Irritation und Ärgernis.” Fischer spricht vom 11. November 2020, als bekannt wurde, dass für die S18 die CP-Variante weiter verfolgt wird. “Und jetzt hat sich auch noch eine Variante aus dem Hut gezaubert, die in Lustenau mittlerweile ihren Namen trägt. Die Gewessler-Variante, von der man bis heute nicht weiß: Was hat sie sich da gedacht?”, kommt Fischer in Fahrt. Am Sonntag erzürnte die grüne Klimaschutz-, Umwelt- und Infrastrukturministerin Fischers komplette Partei endgültig. Sie stimmte gegen den Willen der ÖVP auf EU-Ebene für das Renaturierungsgesetz. Wer ist die Ministerin, die die türkis-grüne Bundesregierung fast gesprengt hat?

Gegen TTIP und CETA

Leonore Gewessler stammt aus der Steiermark. Sie wurde am 15. September 1977 in Graz geboren, besuchte dort auch die Volksschule und das Gymnasium, bevor sie für das Bachelorstudium der Politikwissenschaft nach Wien zog. Anschließend legte sie einen rasanten Aufstieg in Österreichs Politiklandschaft hin. Bevor sie bei der Nationalratswahl 2019 für die Grünen kandidierte und anschließend in die Regierung aufstieg, war sie fünf Jahre lang politische Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000. Dort verantwortete sie Kampagnen gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA, für den Kohle-Ausstieg Österreichs und gegen den Bau der dritten Flughafen-Piste in Wien-Schwechat. Kein Wunder also, dass Industrievertreter kein gutes Haar an ihr lassen.

“Schwer ideologisch”

Wie der ehemalige Präsident der Vorarlberger Industriellenvereinigung, Martin Ohneberg: “Sie ist schwer ideologisch unterwegs.” Johannes Rauch, Werner Kogler und Leonore Gewessler seien zwar alle kompetente Gesprächspartner. “An der Handschlagqualität zweifelt Ohneberg allerdings: Bei der Umsetzung bedienen sie sich ihrem Personal und das ist noch um ein Stück ideologiegetriebener und verbissener als sie selbst.” Im Endeffekt hätten alle Angst vor der mächtigen Superministerin. Mutig sei sie sicherlich, sagt der ehemalige IV-Präsident über Gewessler. Allerdings müssten die Grünen auch generell ehrlich werden und sagen, was ist: Nämlich, dass ihre Politik auch Wohlstandsverlust bedeute.

Mangelndes Selbstbewusstsein kann Gewessler nicht vorgeworfen werden. Sie holte es sich unter anderem von 2008 bis 2014 bei der Green European Foundation in Brüssel, einer vom Europaparlament finanzierten politischen Stiftung mit enger Verbindung zu den europäischen Grünen. Davor war sie Büroleiterin der Bezirksvorstehung in Wien-Neubau.

“Akribische Arbeiterin”

Unter den Grünen genießt sie ein hervorragendes Image, auch innerhalb der Bundesregierung – etwa bei Sozialminister Johannes Rauch. “Leonore ist eine akribische Arbeiterin, mit einer extremen Sorgfalt in der Sache, und extrem hoher Sachkompetenz. Sie lässt sich nie von Emotionen hinreißen. Sie versichert sich dreimal, ob was geht oder nicht.” Ihr vorzuwerfen, taktisch oder ideologiebetrieben zu agieren, sei absurdest, sagt Rauch.

Auch innerhalb der Ökoszene lobt man die ehemalige Geschäftsführerin von Global 2000. Hanna Simons kennt die Ministerin gut. Die stellvertretende Geschäftsführerin des WWF zählte mit Gewessler zum Vorstandsteam des Ökobüros. Engagiert, sehr sachorientiert, besonnen, humorvoll und herzlich sind die ersten Eigenschaften, die Simons im VN-Gespräch einfallen. Gewessler arbeite sehr unaufgeregt. “Ihre Kompromissbereitschaft war immer schon vorhanden.” Die habe sich mit dem Wechsel in die Politik sicher noch erhöht, ist Simons überzeugt. “Was sich nicht geändert hat, ist das Kämpferische, das Dranbleiben an Themen.”

“Vertrauen verloren”

Dieses Kämpferische kommt nicht überall gut an. Etwa bei Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner. Er habe das Vertrauen in sie längst verloren, sagt er den VN. Grund sei ihre Vorgangsweise rund um die S18. “Sie hat den laufenden Prozess einfach gestoppt.” Sie sei drübergefahren, ungeachtet des bereits langjährigen Planungsprozesses. Dass sie nun dem EU-Renaturierungsgesetz ohne Rücksicht auf die Länder zugestimmt habe, sei ein “Drüberstreuer”.

Die Geschichte mit der S18 hat auch bei Kurt Fischer Spuren hinterlassen. Ihn ärgert nicht nur die Festlegung auf die ungeliebte CP-Variante, sondern auch: „Dass ich als Bürgermeister der hauptbetroffenen Gemeinde von einem Journalisten davon erfahre.“ Festlegen möchte er sich aber nicht. „Beim Namen Leonore Gewessler habe ich mixed Emotions.“