Regierung verteilt 651 Millionen aus kalter Progression neu

Türkis-grün hat sich geeinigt: Das variable Drittel wird pünktlich vor der Wahl verteilt. Die Neos, AK, ÖGB und Momentum üben Kritik.
Wien Die Nationalratswahl naht. Nicht zuletzt wohl ein Grund, dass sich die türkis-grüne Regierung nun auf die Rückverteilung des letzten Drittels der kalten Progression geeinigt hat. Profitieren sollen vor allem Familien mit geringem Einkommen. Durch die abgeschaffte kalte Progression würden die Menschen im kommenden Jahr mit knapp zwei Milliarden Euro entlastet, heißt es aus dem Finanzministerium.
Die schleichende Steuererhöhung wurde bekanntlich 2023 abgeschafft, Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) verbucht das als einen seiner größten Erfolge. Seitdem werden die Steuerstufen jedes Jahr an die jeweilige Teuerung angepasst, damit die Steuerzahler im Zuge der jährlichen Lohnerhöhungen nicht mehr in höhere Steuerstufen rutschen. Die Anpassung der Tarifstufen erfolgt aber nur zu zwei Drittel automatisch. Über die Verteilung der übrigen Mehreinnahmen verhandelt die Regierung jedes Jahr. Heuer ging es um 651 Millionen Euro.
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Steuerstufen, Kilometergeld
Konkret hat Türkis-Grün nun beschlossen, dass alle Steuerstufen, außer jene des Höchststeuersatzes von 55 Prozent bei Einkommen ab 1 Million Euro, für nächstes Jahr um knapp vier Prozent anzuheben. Ab 2025 liegt die Grenze für die erste Tarifstufe bei 13.308 Euro, für die zweite bei 21.617 Euro, für die dritte bei 35.836 Euro, für die vierte bei 69.166 Euro und für die fünfte bei 103.072 Euro.
Zudem steigt das Kilometergeld, es wird für Pkw, Motorräder und Fahrräder einheitlich mit 50 Cent pro Kilometer festgesetzt. Der Kostenersatz bei der Öffi-Nutzung auf Dienstreisen soll ebenfalls attraktiver werden.
Die Kleinunternehmergrenze wird auf 55.000 Euro (derzeit 35.000 Euro) ansteigen. Diese Grenze entscheidet darüber, ob man noch als Kleinunternehmer gilt oder der Regelbesteuerung unterliegt.
Rauch: Schritt gegen Kinderarmut
Weiters werden alleinerziehende Personen mit geringem Einkommen durch einen Kinderzuschlag in Form eines erhöhten Absetzbetrages um 60 Euro pro Monat und Kind entlastet. „Für rund 250.000 Kinder in Österreich bedeutet das die Chance auf ein sorgenfreies Aufwachsen“, sagte Sozialminister Johannes Rauch von den Grünen.

Eigene Interpretationen
Mit der Interpretation des Pakets richteten sich die Regierungsparteien an die jeweiligen Wahlklientel: Brunner sprach von einem „Leistungsdrittel“, während Sozialminister Rauch lieber den Begriff „soziales Drittel“ bemühte.
Steuerverschuldung viel zu hoch
„Vorsicht bei Wahlzuckerl“
Lob und Kritik
Arbeiterkammer und ÖGB begrüßten unter anderem das erhöhte Kilometergeld und die Entlastung geringer Einkommen. Kritik kam an der Maßnahme für Kleinunternehmer: Damit werde auch die Grenze für die Kleinunternehmerpauschalierung in der Einkommensteuer automatisch mit angehoben. Der Wirtschaftsbund begrüßte hingegen diesen Schritt. Auch Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf (ÖVP) freute sich, über „bürokratische Erleichterungen“ für Betriebe.

„Keine Steuersenkung“
Die Abgeltung der kalten Progression seit 2022 bringe dem ärmsten Einkommensfünftel am wenigsten, kritisierte hingegen das Momentum Institut. Die Abgeltung bedeute für das vierte Einkommensfünftel 2024 eine Ersparnis von 1.320 Euro und entspreche 3,2 Prozent relativ zum Einkommen. Gleichzeitig wird das ärmste Fünftel nur um 360 Euro (2,2 Prozent des Einkommens) entlastet, sagte deren Ökonom Jakob Sturn.
“Fiskal- und Sozialpolitik gehören strikt getrennt.”
Frank Schellhorn, Agenda Austria
“Eine Umverteilung sollte in einem Sozialstaat über die Sozialpolitik stattfinden”, sagt Franz Schellhorn, Direktor der Agenda Austria. Fiskal- und Sozialpolitik gehören strikt getrennt, fordert er. Dass das letzte Drittel der kalten Progression nicht abgeschafft wurde, erlaube es der Politik jetzt jedes Jahr, ein politisches Schauspiel zu veranstalten, um gönnerhaft die Milliarden zu verteilen, die sie gerade noch zu Unrecht eingehoben hat. “In einem innerkoalitionären Poker versucht jeder seine eigene Klientel zu befriedigen”, so Schellhorn.
„Niemand in Österreich zahlt durch die Abschaffung der kalten Progression auch nur einen Cent weniger Steuern.“
Gerald Loacker, Wirtschaftssprecher der Neos
Neos-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker meldete sich ebenfalls kritisch zu Wort: „Mit viel Pomp und Trara verteilt die Regierung jetzt nach einem jährlichen Polit-Bazar das letzte Drittel an die eigene Klientel, statt die kalte Progression einfach, wie von uns gefordert, endgültig für alle automatisch und zu 100 Prozent abzuschaffen.“ Loacker betonte zudem, dass die Abschaffung der kalten Progression keine Steuersenkung sei: „Sie ist lediglich der – späte – Verzicht auf eine schleichende Steuererhöhung. Niemand in Österreich zahlt durch die Abschaffung der kalten Progression auch nur einen Cent weniger Steuern.“