Lohn statt Taschengeld für Menschen mit Beeinträchtigung: “Davon profitieren alle”

Politik / 23.07.2024 • 14:33 Uhr
Svenja Gehrmann vom „Sprungbrett-Lädele“
Svenja Gehrmann vom „Sprungbrett-Lädele“ erzeugt Produkt, die direkt verkauft werden. Ihre Arbeit wird spürbar geschätzt. Caritas/Michael Fröhle

Förderrichtlinie bringt Verbesserung: Caritas-Direktor Walter Schmolly sieht Potenzial. Was mit dem zusätzlichen Geld von Bund und Ländern alles möglich sein wird und wem es zugute kommt.

Julia Schilly-Polozani, Birgit Entner-Gerhold

Wien Es ist ein Durchbruch für Menschen mit Behinderungen. Künftig werden sie einen regulären Lohn für ihre Arbeit in tagesstrukturellen Einrichtungen, auch Werkstätten genannt, erhalten. Das betrifft 28.000 Menschen, die bislang nur ein “Taschengeld” bekommen haben. Bei der Caritas Vorarlberg reagiert man positiv, zeigt sich aber noch abwartend. Bislang ist nicht klar, was das konkret für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen bedeutet.

Was bekannt ist: Das Sozialministerium hat die Förderrichtlinie “inklusive Arbeit” erlassen. Bis 2026 stehen 54 Millionen Euro für Projekte zur Verfügung, um Menschen mit hohem oder sehr hohem Unterstützungsbedarf den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Ein Drittel der Summe wird von den Ländern beigesteuert.

Situation am Vorarlberger Arbeitsmarkt

Laut Bericht “Menschen mit Behinderung in Österreich” des Sozialministeriums von 2024 zeigen sich auf Bundesländerebene deutliche Unterschiede bei der Erwerbstätigkeitsquote von Menschen mit Behinderung im Untersuchungszeitraum 2022. Vorarlberg lag, wie die restlichen westlichen Bundesländer, am vorderen Ende mit 58,6 Prozent. Spitzenreiter war Salzburg mit 64,7 Prozent, gefolgt von Tirol mit 61,9 Prozent. Zum Vergleich lag die Quote in Wien bei 51,2 Prozent. Die Erwerbstätigkeitsquote der Gesamtbevölkerung erreichte rund 74 Prozent.

Geringes Taschengeld statt Lohn

Bislang bekamen Menschen mit Behinderung für ihre Arbeit lediglich zwischen 35 und 100 Euro Taschengeld pro Monat, die genaue Summe variiert je nach Bundesland. Zudem sind sie unfallversichert. Während der Bund für die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zuständig ist, liegt die Verantwortung für tagesstrukturelle Einrichtungen und deren Vergütungen bei den Ländern.

Neben eines fairen Lohns ermöglicht die neue Richtlinie, dass die Personen sozialversicherungsrechtlich abgesichert werden und Pensionsansprüche lukrieren. Zentrale Förderkriterien sind echte Arbeitsverträge, eine Vollversicherung und ein den Lebensunterhalt sicherndes Entgelt.

Walter Schmolly, Caritas
Schmolly sieht Potenzial in der Weiterentwicklung des Modells “Werkstätte”, aber auch in neuen Kooperationsmodellen mit Unternehmen. Caritas/Michael Fröhle

Der Vorarlberger Caritas-Direktor Walter Schmolly freut sich über diese Fortschritte: „Der Arbeitsbereich spielt für die Inklusion eine immens wichtige Rolle, weil über ein Arbeitsverhältnis Erfahrungen von Anerkennung und Selbstwirksamkeit, aber auch Beziehungen ermöglicht und gestärkt werden. Davon profitieren letztlich alle Beteiligten”, sagt er. Schmolly lobt das Engagement des Landes und vieler Unternehmen, die in diesem Bereich in Vorarlberg schon sehr viel möglich gemacht hätten, auch für Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf. “Mit den zusätzlichen Förderungen kann dieser Weg engagiert und innovativ weiterverfolgt werden. Das Potenzial liegt vor allem in der Weiterentwicklung des Modells ‘Werkstätte’, aber auch in neuen Kooperationsmodellen mit Unternehmen und Institutionen.“ 

Derzeit sind in Vorarlberg 123 Menschen mit Beeinträchtigung in einer Werkstätte der Caritas tätg. Eine davon ist etwa das Sprungbrett-Lädele in Bludenz – eine Kreativwerkstatt mit Verkauf, wo Keramik, Tonartikel, Kerzen oder Holzartikel zu erwerben sind. Zu verschiedenen Anlässen werden auch individuell gestaltete Produkte angeboten. Neben den Werkstätten schaffen 45 Unternehmen Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung.

Rauch: Betroffene involviert

“Die Richtlinie ist der nächste wichtige Schritt, um Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen”, sagte Sozialminister Johannes Rauch (Grüne). Besonders wichtig sei bei der Erarbeitung der Richtlinie die umfangreiche Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen gewesen.

ABD0074_20240624 – WIEN – …STERREICH: Sozialminister Johannes Rauch (GR†NE) am Montag, 24. Juni 2024, im Rahmen eines Doorsteps nach Beginn des runden Tisches “Kindergrundsicherung” in Wien. – FOTO: APA/EVA MANHART
Rauch sieht in der Richtlinie ein wichtiger Schritt, um Menschen mit Behinderung die Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. APA

Gemischte Reaktionen

Positiv, aber mit Einschränkungen reagierten SPÖ und Neos. SP-Sozialsprecher Josef Muchitsch sprach von einem “Anfang”. Er kritisiert sowohl die Befristung mit 2026 als auch eine Unterdotierung. Seitens der Neos bekrittelte die Mandatarin Fiona Fiedler, dass es im Inklusionsbereich weiter völlig zersplitterte Strukturen gebe. Besser wäre eine Finanzierung und Koordinierung aus einer Hand. Patrick Berger, Leiter des Chancen Nutzen Büros im ÖGB, sah einen überfälligen Schritt. Ausständig ist für ihn noch die vollständige Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention.