Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Kinder machen statt arbeiten. Funktioniert das?

Politik / 02.08.2024 • 16:12 Uhr

Große Aufregung in Wien und via Medien und FPÖ weit darüber hinaus: Eine neunköpfige syrische Familie erhält 4600 Euro Mindestsicherung, also Sozialhilfe. Netto pro Monat. Die Summe ergibt sich aus 809,09 pro Person (plus einem Zuschlag) für die Erwachsenen, 312,08 Euro pro Kind (eines ist nicht anspruchsberechtigt) plus einer deftigen Mietbeihilfe. Mit anderen Transferleistungen kommt die Familie angeblich auf über 6000 Euro. Die im Titel gestellte Frage ist also mit „Ja“ zu beantworten: Der Löwenanteil des Familieneinkommens ist hier der Vielzahl an Kindern geschuldet. Das funktioniert besonders gut in Wien. Es funktioniert trotz degressiver Modelle auch in anderen Bundesländern.

Da hilft es wenig, dass etwa die Volkshilfe darauf hinweist, eine neunköpfige Familie sei ab 6600 Euro monatlich armutsgefährdet. Denn: Das Durchschnittseinkommen beträgt in Österreich netto 2500 Euro. Bei jenen syrischen Eltern wäre ein Arbeitseinkommen noch wesentlich niedriger. Und: Erwerbstätige erhalten keine Zuschläge für Kinder – wenn sie wenig verdienen, können sie die zudem die Absetzbeträge nicht voll nutzen. Das nicht erwerbstätige syrische Ehepaar mit seinen Kindern ist somit ungleich weniger armutsgefährdet als eine vergleichbare Familie, wenn ein Elternteil oder beide (schwer vorstellbar bei vielen Kindern) arbeiten. Wenig hilfreich ist auch der Hinweis des Wiener Soziallandesrates Peter Hacker, wonach es sich um Einzelfälle handle. Und blanker Unsinn ist – wie eben vorgerechnet –, dass laut Hacker „der Arbeitsanreiz nicht fehlt“: Ich würde unter diesen Umständen auch keine Hilfsarbeit am Bau verrichten wollen, nicht im Morgengrauen Büros putzen gehen. Sie, liebe Leserinnen und Leser, würden es auch nicht. Wir würden die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Also kein Vorwurf an jene syrische Familie. Aber ein massiver Vorwurf an die Politik: Arbeit lohnt sich vor allem im unteren sozialen Segment auch mit weniger Kindern nicht.

Und damit spielen die Regierenden der FPÖ in die Hände. Denn wahr ist auch, dass die Sozialhilfe „deutlich überrepräsentiert“ von ausländischen Staatsangehörigen bezogen wird. Das zeigt eine Studie des Integrationsfonds aus dem März, die viel zu wenig Beachtung fand. Weitere Zahlen aus dieser Studie: Weniger als die Hälfte der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die ab 2015 nach Österreich kamen, sind erwerbstätig. An Landesrat Hacker gerichtet: Die Quote der syrischen Sozialhilfebezieher liegt in Wien bei 80 Prozent. Und das alles liegt wiederum auch am Gesellschaftsbild und damit verbunden dem Kinderreichtum. Diese spiegeln sich nämlich in der Frauenerwerbsquote: Der österreichische Schnitt liegt bei 70 Prozent. Von den Türkinnen arbeitet nur die Hälfte, von Frauen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak nur jede vierte.

Noch einmal: Der Vorwurf mangelnder Integration geht nicht an die Flüchtlinge, nicht an Asylberechtigte, nicht an Menschen mit subsidiärem Schutz, nicht an kinderreiche Familien. Der Vorwurf geht auch nicht an Bezieher von Sozialhilfe mit österreichischer Staatsbürgerschaft. All diese Menschen handeln innerhalb des Systems logisch. Das Versäumnis liegt bei Politikern, die das Problem klein reden und damit radikale Kräfte groß machen. Und das zeigt ein Einzelfall wie jener der syrischen Familie in Wien.