Klimakleber sind keine Verbrecher
Heute, liebe Leserinnen und Leser, muss ich Ihre Toleranz strapazieren. Das tue ich bei manchen von Ihnen wohl ohnehin regelmäßig – dann nämlich, wenn ich gegen die Auswüchse freiheitlicher Politik wettere. Aber heute: Da will ich die Klimakleber verteidigen. Und damit bin ich ziemlich alleine im Land, wie ich vergangene Woche erstaunt bemerkte: Perfide fand ich vor allem, dass sich neben einigen Umweltschutzorganisationen sogar die Grünen distanzieren: Das ist billigste parteipolitische Taktik gegenüber einer unbeliebten Gruppierung – zumindest da sind Sie und ich vermutlich einer Meinung.
Also: Die „Letzte Generation“ kündigte Mitte der Woche an, man würde alle Aktionen, das Kleben und das Beschmieren vor allem, einstellen. Eine Sprecherin namens Afra Porsche gab dazu ein bemerkenswert luzides Interview für das Mittagsjournal von Ö1. Wenn ich mich nicht völlig verhört habe, atmete Ö1-Moderator Rainer Hazivar, einer der besten unserer Zunft, dabei schwer (warum, das muss ich ihn noch fragen, vielleicht war auch er erstaunt). Jemanden wie Afra Porsche (sie dürfte allerdings deutsche Staatsbürgerin sein) hätten die Grünen nach Brüssel schicken sollen, nicht Lena Schilling. Mir gefiel unter anderem, dass sie das Ende der Störaktionen mit wissenschaftlicher Erkenntnis begründete: Aus den Reaktionen könne man ablesen, dass diese der Sache mittlerweile mehr schadeten als nützten.
Ja, die Wissenschaft. Unlängst saß ich einer Runde beim Servus-TV-Talkformat Links-Rechts-Mitte. Mein Auftritt – vor allem im Kampf gegen den parteiischen Moderator – war schlecht. Schlechter waren nur die Argumente der anderen – bis hin zu der Aussage, es gäbe keinen Beweis dafür, dass die Erderwärmung menschengemacht sei. Die “Letzte Generation” hingegen: Sie haben ja mit fast allem recht, was sie über die Klimakatastrophe sagen, und sie belegen das eben auch mit wissenschaftlichem Instrumentarium. Strittig sind doch für alle Vernünftigen nur zwei Dinge: Wie schlimm sind die Folgen der unstrittigen Temperaturerhöhung und wie geht man damit jetzt und dann um.
Afra Porsche sprach sinngemäß von „vielen Tausenden Toten“. Ich halte das für eine maßlose Aussage – und zwar für eine maßlose Untertreibung. Die Klimakatastrophe wird viele Millionen Menschen das Leben kosten. Da rechne ich noch gar nicht die Folgen von Kriegen ein, die aufgrund von Wasser-, Lebensmittel- und Lebensraumknappheit ausbrechen könnten. Neben der stetigen Gefahr eines großen – und dann vielleicht letzten – Krieges, ist der Klimawandel die größte Bedrohung der Menschheit. Jener Krieg ist eine Möglichkeit, der Klimawandel hingegen ist eine Sicherheit.
Ich ärgere mich stets darüber, dass man sich schon über die Bezeichnung „Letzte Generation“ den Mund zerreißt. Mit großer Sicherheit ist jene Jugend tatsächlich die letzte Generation, die allenfalls noch die schlimmsten Auswüchse und Folgen des Klimawandels abwenden kann. Aber wie? Die “Letzte Generation” behauptet, dass alle derzeit implementierten politischen und technischen Maßnahmen nicht ausreichen werden, irgendeines der gesteckten Ziele zu erreichen. Das ist keine besonders mutige Aussage – denn sie wird vom Großteil der Wissenschaftler geteilt. Womit wir zur Frage kommen, wie man diese Maßnahmen verändern, also schnellstens verschärfen kann. In Legislaturperioden denkende Politiker und in Renditen kalkulierende Unternehmer machen das offensichtlich nicht freiwillig. Was also ist schlimm daran, dass mit zivilem Widerstand versucht wird, Aufmerksamkeit zu erzeugen? Sind ein paar hundert Fälle von Verkehrsbehinderung und einige verschmutzte Glasscheiben vor teuren Gemälden ein zu hoher Preis, um auf den drohenden Tod von Millionen Menschen aufmerksam zu machen?
Ich denke nicht (und ich zähle auf Ihre Toleranz).
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