Ukrainischer Botschafter: “Russisches Gas ist Gift”

Vasyl Khymynets ist seit Oktober 2021 Botschafter in Wien. Mit den VN sprach er unter anderem über Österreichs Erkenntnis, dass die Anhängigkeit von russischem Erdgas schwächt und über die Situation der 2500 geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer in Vorarlberg.
Aktuell leben rund 2500 ukrainische Geflüchtete in Vorarlberg. Bekommen Sie mit, wie es ihnen geht?
Vasyl Khymynets: Danke zunächst, dass diese Menschen gut aufgenommen wurden und die Möglichkeit bekommen, sich in einer fremden Umgebung einzuleben. Viele der Schutzsuchenden waren überhaupt zum ersten Mal im Ausland. Das ist eine zusätzliche psychische Belastung zu jener des Kriegs. Die Menschen in Vorarlberg zeigen viel Herz und Empathie. Ich bin auch glücklich, dass die Ukrainer positiv wahrgenommen werden, wie ich in Gesprächen mit Vorarlberger Bürgermeistern und mit Vertretern der Landesregierung immer wieder höre.
Einige Ukrainer, mit denen wir in den vergangenen Monaten gesprochen haben, planen in Vorarlberg zu bleiben. Ihre Kinder hätten hier eine Zukunft, in der Ukraine weniger. Wie geht es Ihnen, wenn Sie solche Aussagen hören?
Ich habe Verständnis. Es ist eine starke Belastung, in einem Land zu leben, das quasi jede Nacht bombardiert wird. Ich bin aber auch überzeugt, dass die meisten Menschen in die Heimat zurückkommen, sobald dieser Krieg vorbei ist. Die Aufgabe des Staates muss es dann sein, diese Menschen dabei zu unterstützen, wieder in ein normales Leben einzusteigen. Die Menschen sammeln aber auch Erfahrungen, gerade hier in Österreich, auch berufliche, lernen eine neue Sprache, sehen wie hier zum Beispiel das Vereinswesen funktioniert. Diese Menschen in der Ukraine werden sehr gefragt sein.

Welche Szenarien haben Sie für den Ausgang des Kriegs?
Eines steht fest: Dieser Krieg, den Russland ohne jeglichen Grund führt, ist ein genozidaler Krieg. Putin beabsichtigt, die Ukraine auszulöschen. Die Antwort kann nur sein, Putin zu stoppen. Mit beiden Mitteln: militärischen und politischen. Der Ukraine muss daher maximal militärisch geholfen werden. Das ist völkerrechtlich konform. Die Ukraine wollte diesen Krieg nicht. Die Ukraine will Frieden, einen gerechten und dauernden Frieden. Eines der Ziele muss sein, auf dem russischen Gebiet Infrastruktur des Kriegs zu zerstören, russische militärische Fähigkeiten zu minimisieren.
Braucht es weitere EU-Sanktionen gegen Russland?
Es darf nicht sein, dass Putin nach mehr als zwei Jahren Krieg – mit der Annexion der Krym reden wir von zehn Jahren Krieg – noch immer nicht von den globalen Märkten abgeschnitten ist. Viele westliche Firmen sind noch immer in Russland präsent und zahlen dort Steuern. Diese gehen in die Kriegskasse. Es ist zudem absurd und unerklärlich, wieso Russland noch immer in allen internationalen Gremien sitzt. Russland warf vor Kurzem Raketen auf das größte Spital in Kyjiw ab und hatte gleichzeitig den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat.
Diplomatische Verhandlungen reichen Ihrer Ansicht nach nicht?
Es ist eine Utopie zu glauben, dass Putin diesen Krieg aus gutem Willen beenden wird. Wir müssen gemeinsam mit der allen Ländern auf Putin diplomatischen und wirtschaftlichen Druck erhöhen. Deswegen versucht die Ukraine weiter den diplomatischen Prozess voranzutreiben, um den Krieg schneller zu beenden. Wir arbeiten daran, dass sich Ländern wie China und Indien, die die größten Wirtschaftspartner von Putin sind, sich diesen internationalen Bemühungen anschließen. Es geht nicht nur um die Ukraine. Es geht um Prinzipien. Bekennen wir uns zu Regeln oder wird Chaos herrschen, indem ein größeres Land sich dar Recht behalten wird, jederzeit ohne Grund ein anderes zu destabilisieren, bzw. anzugreifen. Russland maximal zu isolieren, wird der Sicherheit der freien Welt nur guttun.
Die OMV hat Verträge geschlossen, die lange Laufzeiten haben. Nun prüft eine Kommission. Kommt das zu spät?
Energie ist ein wichtiger Hebel für Russland, um seine Interessen durchzusetzen. Das haben auch die Menschen in Österreich gesehen: Zum einen, dass russisches Gas nicht das billigste ist und zum anderen, wie brutal Putin damit erpresst. So eine starke Abhängigkeit von einem Lieferanten ist eine Schwäche. Und jede Zahlung für Gas ist eine Unterstützung, um den Krieg weiter zu finanzieren. Ich sehe Erkenntnis in Österreich: Je schneller der Ausstieg kommt, umso besser ist es für Österreich und auch die Ukraine, für unsere Sicherheit. Russisches Gas ist Gift.
Jüngst gab es einen Gefangenenaustausch mit Russland. Welche Bilder sendet das?
Wir haben gesehen, wie pompös Putin die russischen Spione und Killer begrüßt hat. Das Signal an die Welt ist, dass Spione weiterhin destabilisieren werden. Und es ist ein Signal an alle noch tätigen Spione, dass er sich für sie einsetzen wird. Es ist auch im Interesse des Westens, diese Tätigkeit zu beschränken.
Bis wann soll die Ukraine EU-Mitglied sein?
Ich höre immer wieder hier in Österreich: Herr Botschafter, die Ukrainer sind Europäer. Auch geschichtlich gesehen waren wir immer ein Teil Europas. Westliche Gebiete waren sogar Teil der K.u.K.-Monarchie. Unsere Tragödie war, dass wir durch die Sowjetunion und das russische Imperium besetzt wurden. Die ukrainische Kultur und Identität wurden stark unterdrückt. Das ist jetzt wieder eine gute Gelegenheit, dass die Ukraine erneut Teil des EU-Hauses ist: Politisch und kulturell sind wir das ohnehin.

Welche Hausaufgaben muss die Ukraine vorher erfüllen?
Für uns geht es darum, alles durchzuführen, was im Rahmen des Vertragswerks vorgesehen ist. Der existierende dynamische Dialog zwischen der Ukraine und EU darf nicht an die Geschwindigkeit verlieren. Es wird ein schwieriger Prozess. Von uns wird viel verlangt: Veränderungen, Transformationen. Aber auch Moskau schläft nicht. Russland wird weiterhin alles unternehmen, um diesen Beitritt zu verhindern. Es werden gerade massiv Falschmeldungen verbreitet, dass die Ukraine für einen Beitritt noch nicht fit genug ist. Unsere EU-Partner dürfen sich durch diese Propaganda nicht beeinflussen lassen. Aber welches Land war fit? 2004 sind zehn Länder beigetreten, die vom Potenzial größer als die Ukraine waren. Alle sagen heute, dass es eine Erfolgsstory war. Genauso wird es eine Erfolgsstory mit der Ukraine.
Würde ein NATO-Beitritt die Lage weiter eskalieren?
Die Ukraine war 2014 faktisch ein bündnisfreier Staat. Diese Neutralität damals hat uns nicht gerettet. Putin hat das als Schwäche gesehen und die Ukraine überfallen. Russland führt Aggression gegen die Länder, welche bündnisfrei sind: Moldova, Georgien, die Ukraine. Heute wollen die Ukrainer Teil der Nato sein. Es ist eine effektive Zusammenarbeit, um kollektive Sicherheit und Frieden zu garantieren.