Sozialhilfedebatte: „Die soziale Hängematte gibt es nicht”

Die aktuelle Debatte über die Höhe der Sozialhilfe dreht sich vor allem um die Frage, ob irgendwann der Anreiz zur Arbeit verloren geht. Experten sehen dieses Phänomen nicht.
Schwarzach Die Politik hat ihr erstes Wahlkampfthema gefunden: Ist die Sozialhilfe zu hoch? Die Aufregung entzündete sich anhand eines Wiener Einzelfalls. Eine syrische Familie erhält für die beiden Erwachsenen und ihre sieben Kinder 4600 Euro Sozialhilfe und Mietzuschuss. Außerdem erhält sie – wie alle in Österreich – Familienbeihilfe und andere Sozialleistungen. Für Politikerinnen und Politiker mancher Couleur steht fest: Das ist zu viel. Auch Experten sehen die Höhe durchaus kritisch. Das Argument, dass dadurch der Anreiz zur Arbeit verloren gehen würde, teilen sie aber nicht.
AMS-Chef Johannes Kopf hat in einem Interview mit der ZiB 2 den Betrag relativiert. Würde man die 4600 Euro 14-monatlich rechnen – wie ein normales Gehalt – wären es noch 3900 Euro. Aber auch das sei natürlich im Vergleich zu einem Erwerbseinkommen zu viel.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Sonstige angezeigt.
Armutsforscher Andreas Exenberger von der Universität Innsbruck betonte in den VN, dass in diesem Einzelfall zwar durchaus der Arbeitsanreiz fehlen könnte, messbar sei dies aber nicht. Die Höhe sei vor allem für die Akzeptanz in der Bevölkerung ein Thema.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
Für die stellvertretende Leiterin des AMS Vorarlberg, Katharina Neuhofer, steht fest: „Die soziale Hängematte gibt es nicht.“ Beim AMS Vorarlberg merke man jedenfalls nicht, dass die Höhe der Leistungen den Arbeitsanreiz reduziert. Derzeit sind rund 500 Personen beim AMS vorgemerkt, die Sozialhilfe beziehen. „Davon sind 300 Männer und 200 Frauen“, berichtet Neuhofer. Sie findet andere Arbeitsanreize – oder eher Arbeitsbremsen. Kinderbetreuung etwa. „60 dieser 200 Frauen sind Wiedereinsteigerinnen, die schon einmal gearbeitet haben und jetzt zurückkehren wollen. Da geht es natürlich um das Thema fehlende oder mangelnde Kinderbetreuung in Vorarlberg.“

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
Auch Jörg Flecker, Universitätsprofessor am Institut für Soziologie an der Uni Wien, hält fest: „Menschen arbeiten nicht nur wegen des Lohns. Es gibt viele, die erwerbstätig werden, obwohl sie weniger bekommen als zuvor an verschiedenen Unterstützungen.“ Und der Experte zählt auf: „Erwerbstätigkeit hat andere Funktionen wie soziale Kontakte, Anerkennung, Mitarbeit an größeren Zielen, die eigene Kompetenz bestätigt bekommen, sich einbringen können und so weiter.“ Diese Gründe würden in der Regel ausreichen, um eine Arbeit aufzunehmen. „Natürlich kommt es auf die Qualität der Arbeit an. Auch da gibt es einige Gründe, weshalb man versucht, Arbeit zu meiden. Wenn sie etwa gesundheitlich belastend ist oder wenn man im Job gemobbt wird.” Bei der Diskussion müsse man überhaupt aufpassen. Im Jahr 2022 haben 72 Prozent der Sozialhilfebezieher in Österreich daneben ein Gehalt oder Arbeitslosengeld bezogen, das aber so niedrig war, dass die Sozialhilfe noch aushelfen musste.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Infogram angezeigt.

Das gilt auch für einige der 500 Sozialhilfebezieher, die beim AMS Vorarlberg gemeldet sind. Bei den Wiedereinsteigerinnen zum Beispiel. Neuhofer und Flecker betonen noch einen zweiten Punkt: In Österreich könne man die Arbeit gar nicht verweigern. „Man kann in Österreich keine Sozialhilfe beziehen, wenn man arbeitsfähig ist, aber nicht bereit ist, zu arbeiten. Das gilt auch für das Arbeitslosengeld“, sagt Flecker. Und Neuhofer berichtet: „Wir haben heuer im Juli 280 Mal eine Sanktion verhängt, also das Geld gekürzt oder komplett gestrichen.“ Das gilt für Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zusammen. Das AMS kann die Auszahlung sechs Wochen stoppen, im Wiederholungsfall für acht Wochen. Für die Sozialhilfe ist die Bezirkshauptmannschaft zuständig. Sie erfährt ebenfalls vom AMS, ob jemand keine Arbeit aufnehmen möchte.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Infogram angezeigt.
Das AMS kennt auch sogenannte Zumutbarkeitsgrenzen. Ein Job darf dann abgelehnt werden, wenn er diesen Zumutbarkeitskriterien nicht entspricht. Ein Beispiel: Bei einem Vollzeitjob gelten zwei Stunden Wegzeit für Hin- und Rückweg als zumutbar. Zudem wurde die Pflicht verschärft, niedrig qualifiziertere Jobs anzunehmen. Sind diese Grenzen zu lasch? „Nein“, entgegnet Jörg Flecker. Sie seien eher zu streng. „Man erzielt damit einen perversen Effekt. Wenn eine Facharbeiterin gezwungen wird, einen Hilfsarbeiterjob anzunehmen, dann steht es im Lebenslauf und sie wird nie wieder einen Facharbeiterjob bekommen.“ Nachsatz: „Diese Dequalifizierung ist schlecht für sie und für die Volkswirtschaft.“