Den Brunner zum Gärtner machen

Der Titel dieses Kommentars könnte auch heißen „Vorarlberg regiert in Brüssel“. Ich habe mich dann doch für Obenstehendes entschieden – obwohl es nicht so spektakulär klingt, obwohl mir die Alternative im Rahmen meiner kommentierenden Freiheit vertretbar erschiene. Denn tatsächlich: Der bis vor einigen Jahren doch eher (milde formuliert) unscheinbare Vorarlberger Magnus Brunner wird nicht nur EU-Kommissar. Er bekommt zudem eines der spektakulärsten Ressorts umgehängt, das die Kommission zu vergeben hatte. Bis 2020 war der aus Höchst stammende Brunner bekanntlich (für die meisten Menschen außerhalb des Ländles unbekanntlich) Bundesrat und Vorstandsvorsitzender der wenig spektakulären „OeMag Abwicklungsstelle für Ökostrom AG“. Jetzt wird er EU-Innenkommissar und damit zuständig für Migration, Terrorbekämpfung, Grenzsicherung und einiges mehr. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer Schritt für Magnus Brunner.
Derweil in Wien: Da wurde natürlich schnell diskutiert, ob Ursula von der Leyen Österreich mit diesem Himmelfahrtskommando den Schwarzen Peter zustecken wollte. Oder ob sie sich gar dafür rächen wollte, dass die Republik, namentlich Sebastian Kurz, ein unsicherer Kantonist der EU im allgemeinen und in Migrationsfragen speziell gewesen war. Aber das ist Unsinn: Würde die Präsidentin ihre Kommission nach persönlichen Befindlichkeiten zusammenstellen, wäre sie sofort am Ende der Europafahnen-Stange und im dysfunktionalen Chaos angekommen. Natürlich muss sie versuchen, im Rahmen ihrer Diskurskraft gegenüber den Regierungschefs der Mitgliedsländer prinzipiell geeignete Persönlichkeiten zu bekommen und diesen dann Ressorts zuteilen, die irgendwie (oder genau) passen. Alles andere wäre Selbstbeschädigung, und entsprechendes Geraune zeugt von der notorischen Dummheit der sozialen Medien und der ebenso notorischen Spekulationslust von Journalisten.
So dürfte es wirklich gelaufen sein, wenn ich mehreren Telefonaten mit Brüssel und wenigen Telefonaten in Wien glauben will: Von der Leyen brauchte für diesen Job jemanden, der nicht unbedingt persönlich (ist Brunner nicht), umso mehr aber durch seine Herkunft mit der Materie vertraut ist. Und damit ist nicht das durchaus migrationserprobte Vorarlberg gemeint, sondern Österreich, das neben Schweden und Deutschland in und seit der Flüchtlingskrise 2015 die relativ höchste Zahl von Flüchtlingen aufgesaugt hat. Zusätzlich hat es nicht geschadet, dass Wien ein vergleichsweise stabiles Gesprächsklima mit Ungarn und anderen in Asylfragen bockigen Ländern pflegt. Was ich nicht herausfinden konnte: Ob (wie kolportiert) Brunner in die Zuteilung seines Ressorts bis zuletzt kaum eingebunden war und ob die zugehörige Koordination wirklich direkt über den Bundeskanzler lief.
Womit wir via „bockig“ beim Titel dieses Textes angekommen sind: Wurde Magnus Brunner also vom Bock zum Gärtner gemacht, wurde das in Migrationsfragen unverlässliche Österreich auserwählt, eine verlässliche europäische Migrationspolitik herbeizuzaubern? Ich würde es anders formulieren und solcherart durchaus zu einem „Ja“ gelangen: Mit einem Österreicher wurde jedenfalls der Vertreter eines Landes gewählt, das wie kaum ein anderes das Versagen der gemeinsamen europäischen Asylpolitik demonstriert, das mit den hohen Flüchtlingszahlen seit einem Jahrzehnt die Lächerlichkeit von EU-Außenschutz und Drittstaatenregeln beweist.
Und weil das Thema Migration wie kein anderes die dramatische Veränderung der politischen Landschaft hin zu den extremen Rändern (zum rechten Rand) bestimmt: Das Schicksal Europas liegt nun (pathetisch formuliert) in den Händen von Magnus Brunner. Und von Vorarlberg.