Wahlprogramme im Check: Die verschleppte Klimakrise

Politik / 23.09.2024 • 14:27 Uhr
Wahlprogramme im Check: Die verschleppte Klimakrise
Wie gehen die Parteien mit der Klimakrise in ihrem Wahlprogramm um? Die Ansätze sind recht unterschiedlich. Vier Parteien sehen aber jedenfalls Handlungsbedarf. APA

Anpacken, Symptome bekämpfen, auf die Wissenschaft herausreden oder komplett ignorieren: Die fünf großen Parteien, die zur Nationalratswahl antreten, gehen mit dem Thema Klimaschutz recht unterschiedlich um, wie ein Blick in die Wahlprogramme zeigt.

Wien Im österreichischen Wahlkampf dominierten Klimathemen nicht. Die jüngsten Starkregenereignisse haben das geändert: Das Thema rückt wieder nach oben. Die Klimaökonomin Sigrid Stagl fand deutliche Worte: “Wir müssen zwischen Symptombekämpfung und einer Veränderung der Strukturen unterscheiden.” Denn reine Schadensbegrenzung komme teuer. Eine Analyse der Wahlprogramme der fünf großen Parteien, die aktuell im Nationalrat vertreten sind, zeigt: Die Lösungsideen, wie der Klimakrise begegnet werden kann, klaffen weit auseinander. Eine Partei liefert gar keine.

ÖVP: Heilsbringende Technologie

Auffällig ist, dass fast alle Parteien bei der Lösung der Klimakrise mehr oder weniger stark auf eine Technologie-Offensive setzen. Einzelne Technologien werden zu heilsbringenden Zukunftslösungen stilisiert, sagt Stagl. “Obwohl diese noch zu wenig erforscht, sehr teuer und bestenfalls kleiner Teil einer Gesamtlösung sein können.” Bundeskanzler Karl Nehammer propagiert synthetische Treibstoffe und ‘Carbon Capture and Storage’ (das Einfangen und Speichern von emittiertem CO2). Diese Technologie könne aber höchstens als Übergang in wenigen Bereichen eingesetzt werden, etwa in der Zement- und der Abfallwirtschaft und im Flugverkehr, erklärte Stagl.

Für die VN hat die Umweltökonomin noch weitere Punkte aus dem ÖVP-Wahlprogramm gesammelt, die sie unter dem Schlagwort “Ausreden, wie der Klimaschutz verzögert wird” summiert. Auffällig ist das Pochen auf die Eigenverantwortung. Damit wird das Problem individualisiert und auf den und die Einzelne abgewälzt. Ein paar Zitate aus dem Wahlprogramm, die Bürger, Unternehmen und schließlich die Regierung selbst aus der Verantwortung entlasse: “Wir setzen auf Fortschritt statt auf Verbote; Österreich ist in Nachhaltigkeitsfragen bereits Vorreiter; Wir vertreiben Betriebe nicht durch neue Belastungen.” In “Grüne Verbrenner” will die ÖVP sogar eine Milliarde Euro investieren. Damit wird die Verbrennung fossiler Brennstoffe, also die Wurzel des Problems, zur Lösung stilisiert.

SPÖ: Viele Bekenntnisse

116 Seiten umfasst das Wahlprogramm der SPÖ. Nur etwas mehr als eine Seite füllen die “Ideen zu Klimaschutz und Klimagerechtigkeit”. Trotzdem findet sich das Thema auch im Rest des Programms an vielen Stellen wieder. Die SPÖ erkennt an, dass zur Lösung der Klimakrise nicht nur Technologien und Innovation, sondern ein grundlegender sozial-ökologischer Umbau der Wirtschaft und eine Verkehrswende erfolgen müssen. “CO2-Neutralität bis 2040 ist alternativlos”, heißt es eingangs, weiters wird ein Klimagesetz gefordert.

Spannend ist zudem, dass die SPÖ in ihrem Wahlprogramm für die Bündelung staatsanwaltlicher Kompetenzen im Umweltbereich eintritt: “Klimawandel und Umweltverbrechen bedrohen Gesundheit und Leben von Millionen Menschen. Die Verfolgung von Straftatbeständen im Zusammenhang mit Klima- und Umweltfragen habe enorme gesellschaftliche Bedeutung.” Weitere Punkte umfassen Reformen bei Wohnen, Industrie und Lieferketten. Privatjets sollen verboten werden.

Klimaschutz weiter Kernthema der Grünen

“Klimapolitisch ist deutlich mehr gelungen als in der Vergangenheit – aber noch lange nicht genug”, fasst Stagl die letzte Regierungsperiode zusammen. Die Expertin vermutet, dass die nächste Regierung kaum konsequenter vorgehen wird: “Leider stehen mehrere Krisen miteinander im Wettbewerb.” Dadurch habe sich die Prioritätenliste geändert. Das Klima steht im Grünen Wahlprogramm aber weiter an erster Stelle und bildet Grundlage für viele Forderungen und beinhaltet klare Handlungsanweisungen: Von Wohnen über Wirtschaft bis zum Verkehr.

Zentral ist das Pochen auf einen weiteren Ausbau von Erneuerbarer Energie. Das habe nicht nur mit Klimaschutz zu tun, wird im Wahlprogramm betont: “Fossile Energien, die wir aus Russland und Co beziehen, treiben die Preise in die Höhe – der konsequente Ausbau Erneuerbarer Energien hält unsere Energiekosten stabil und dadurch die Teuerung in Schach.” Der öffentliche Nahverkehr und das Radnetz sollen weiter ausgebaut werden. Selbstverständlich soll auch das österreichweite Klimaticket, einer der großen Erfolge von Klimaministerin Leonore Gewessler, verlängert werden.

Neos fordern klare Maßnahmen

Die Neos setzen im Bereich Klimaschutz vor allem auf die Kräfte des Marktes. Dabei werden aber konkretere und einschneidendere Maßnahmen gefordert, als die Einleitung zum Kapitel “Klima- und Energiepolitik” zunächst vermuten lässt: “In einem Land, in dem weder der Klimawandel noch die Energiekrise ernst genommen werden und nur mit Verboten gearbeitet wird, sind eine Energiewende und ein klimaneutrales Österreich nicht erreichbar.” Ergo solle also kapituliert werden, da restriktive Maßnahmen sowieso scheitern würden?

Liest man weiter, wirkt es jedoch keineswegs so, als würde nur auf softe Maßnahmen gesetzt. “Ausstieg aus fossilen Energiequellen, allen voran Gas aus Putins Russland”, steht im Programm. An einer anderen Stelle wird das Thema CO2-Bepreisung angeschnitten, unter dem Schlagwort “mit Steuern steuern”. CO2 solle ein vernünftiger Preis gegeben werden, Umweltverschmutzung und klimaschädliches Verhalten stärker belastet sowie Löhne und Einkommen gleichermaßen entlastet werden.

FPÖ warnt vor Klimahysterie

Ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz gibt es im FPÖ-Wahlprogramm an keiner Stelle. Das erste Mal wird “Klima” auf Seite 18 im 92 Seiten umfassenden Wahlprogramm angesprochen. Und zwar werden “strengere Strafe für Klimakleber” gefordert. Die Klimapolitik bringe “zusätzliche Belastungen” und heize die Energiepreise an, ist die FPÖ überzeugt. Zusammenhänge mit russischem Gas und einer Abhängigkeit von Russland werden nicht gezogen. Stattdessen heißt es trotz der Erfahrungen am europäischen Energiemarkt seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine: „Erneuerbare Energieträger können trotz ihrer Förderung nicht den gesamten Bedarf Österreichs decken. Russisches Gas wird weiterhin einen wichtigen Beitrag zu unserer Versorgungssicherheit leisten.“

Weiters wird ein Ende einer “ideologisch motivierten Energiepolitik” gefordert. Auch das Wort “Klimahysterie” wird verwendet. Im Wahlprogramm der FPÖ befinden sich laut Stagls Analyse alle gängigen Ausreden, weshalb Klimaschutz nicht passieren sollte: So verhindere Klimaschutz Wohlstand und Wohlbefinden, jeder sei zudem selbst verantwortlich, restriktive Maßnahmen würden sowieso scheitern, soziale Ungerechtigkeit würde steigen und die Wirtschaft werde geschwächt. Die FPÖ verweist stattdessen auf “praktisches” Handeln. Wie genau das aussehen soll, bleiben sie in ihrem Wahlprogramm schuldig.