Magnus Brunner über EU-Asylsystem: “Das funktioniert derzeit nicht”

Politik / 24.09.2024 • 16:40 Uhr
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Magnus Brunner wird EU-Kommissar für Migration und Inneres. VN/Serra

Der designierte EU-Kommissar für Migration und Inneres spricht erstmals offen an, wo es in der Europäischen Union hakt. Zum Teil ist Österreich dafür mitverantwortlich.

Schwarzach Magnus Brunner hat derzeit nicht sehr viele Neider. Als designierter EU-Kommissar für Migration und Inneres stehen ihm große Aufgaben bevor – in einer Union, deren Mitgliedsländer bereits aktiv geltendes Recht unterwandern. Im Bereich Asyl und Migration setzte ein Wettbewerb nach unten ein, berichtet Migrationsforscherin Judith Kohlenberger. Der innere Zusammenhalt steht auf dem Spiel. Mittendrin steht Magnus Brunner. „Beneiden muss man ihn dafür nicht“, sagt Franz Fischler. „Magnus Brunner hat sicher eines der schwierigsten Portfolios.“ Fischler muss es wissen. Er war von 1995 bis 2004 Teil der EU-Kommission und für die Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raumes zuständig.

Interview mit Othmar Karas und Judith Kohlenberger
“Eine erste Aufgabe für einen EU-Kommissar für Migration und Inneres wird sein, geltendes Recht wieder zur Anwendung zu bringen”, sagt Judith Kohlenberger. APA

Was alles nicht funktioniert

Brunner ist sich den Herausforderungen bewusst, seine Problemanalyse eindeutig: „Der Außengrenzschutz funktioniert noch nicht so, wie wir uns das alle gemeinsam vorstellen. Schengen (Anm. freier Personenverkehr) funktioniert nicht so, wie wir es jetzt haben. Dublin (Anm. Flüchtlingsübereinkommen) funktioniert so nicht, wie wir es jetzt haben. Deswegen ist der Asyl- und Migrationspakt in den nächsten Jahren ganz entscheidend. Man muss ihn auf den Boden bringen und in der Praxis entsprechend umsetzen“, erklärt der designierte Kommissar bei der Wahldiskussion von VN und ORF Vorarlberg am Montagabend.

Magnus Brunner über EU-Asylsystem: "Das funktioniert derzeit nicht"
Franz Fischler sieht Brunner vor großen Aufgaben. APA

Effektiver Außengrenzschutz

Migrationsforscherin Judith Kohlenberger stimmt Magnus Brunner zu, dass das derzeitige System nicht funktioniert: “Weil leider immer mehr Mitgliedsstaaten geltendes Unionsrecht im Bereich Asyl und Migration unterwandern. Eine erste Aufgabe für einen EU-Kommissar für Migration und Inneres wird sein, geltendes Recht wieder zur Anwendung zu bringen.“ Das Dublin-System hilft wenig dabei. Es legt fest, dass jener EU-Staat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, den ein Flüchtling zuerst betreten hat. Dadurch lastet im Grunde der gesamte Druck auf den Mitgliedsländern an der EU-Außengrenze. “Dublin” soll zwar abgelöst werden. Kohlenberger hält fest: „Die große Frage wird dennoch sein, wie effektiver Außengrenzschutz geht, ohne Grund- und Menschenrechte zu verletzen.”

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Viele Flüchtlinge kommen übers Mittelmeer. AFP

Der einstige EU-Kommissar Franz Fischler sieht das grundsätzliche Problem bei den mangelnden Ressourcen für die europäische Grenzschutzagentur Frontex. Das Personal fehle. „Das Dublin-Übereinkommen wurde unter der Annahme beschlossen, dass die Menschen verteilt über die Außengrenzen kommen, nun konzentriert es sich auf wenige Punkte wie Griechenland oder Lampedusa in Italien.“

Flüchtlingsverteilung

Was Brunner bislang noch nicht angesprochen hat, ist der verpflichtende Solidaritätsmechanismus. Dieser werde im neuen Asyl- und Migrationspakt wesentlich sein, sagt Kohlenberger. „Das heißt, dass sich alle Mitgliedsstaaten an der Aufnahme von Schutzsuchenden beteiligen müssen.“ Der künftige Kommissar habe eine Mammutaufgabe vor sich. „Er wird viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um einen Konsens unter den 27 Mitgliedsstaaten herzustellen. Gerade die Migrationspolitik ist zur Achillesferse der EU geworden.“

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Magnus Brunner darf ausschließlich europäische Politik machen. VN/SERRA

Österreich bremst beim Schengen-Raum

Was die Mängel im Schengen-Raum – also der Personenfreizügigkeit in der EU – betrifft, sind sich die Migrationsforscherin und Franz Fischler einig. Hier trägt die österreichische Politik zur Unruhe bei. „Weil es noch ein aufrechtes österreichisches Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens gibt“, schildert Kohlenberger. „Österreich zählt zu den Bremsern“, sagt auch Fischler. „Es wird sicher eine Aufgabe für Magnus Brunner, dafür zu sorgen, dass die Schengen-Erweiterung funktioniert.“

Wie Brunner die Gratwanderung zwischen ÖVP-Politiker und EU-Kommissar schaffen wird? Gar nicht, meint Fischler. „Wenn er als Kommissar Erfolg haben möchte, kann er nur ausschließlich europäische Politik machen. Wenn er das nicht tut, wird er rasch nicht mehr ernst genommen.“ Brunner sei nicht oberster Repräsentant Österreichs in der EU. „Das wird er auch bei seinem Hearing vor dem EU-Parlament deutlich sagen müssen“; erklärt der einstige EU-Kommissar. „Ansonsten bekommt er Schwierigkeiten.“