30 Jahre: Als Franz Fuchs eine Briefbombe nach Vorarlberg sandte

Vier Jahre hielt ein steirischer Vermessungstechniker die Republik in Atem. Seine Terroranschläge forderten vier Menschenleben und mehrere teils schwer Verletzte. Im Oktober 1994 wandte er sich auch Vorarlberg zu.
Bregenz, Dornbirn Anfang Oktober 1994 kam der Briefbombenterror nach Vorarlberg. Franz Fuchs sendete der Ausländerberatungsstelle in Dornbirn eine Briefbombe – ein durch einen Konstruktionsfehler unbeabsichtigter Blindgänger. Doch auch ein Adressierungsfehler sorgte dafür, dass Mira Martinovic und die spätere Grünen-Politikerin Vahide Aydin den Sprengsatz fanden und ihn der Polizei übergaben.

Franz Fuchs hielt dies vorerst nicht auf. Angefangen hatte es bereits im Dezember 1993. Drei der zehn Briefbomben erreichten ihre Opfer: Der Pfarrer August Janisch, ORF-Moderatorin Silvana Meixner und Wiens Bürgermeister Helmut Zink wurden schwer verletzt. Ein Masseverwalter wurde von einer Bombe verletzt, die für einen islamischen Ausländerhilfsverein gedacht war. Die Bomben für den Caritas-Präsidenten Helmut Schüller, Frauenministerin Johanna Dohnal, zwei Grünen-Politikerinnen sowie an einen Verein für steirische Slowenen und an die Arbeitsgemeinschaft zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte der Wirtschaftskammer (damals Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft) wurden abgefangen. Es folgten eine Rohrbombe vor einer Schule, Briefbomben an Familien, Vereine und Prominente wie Arabella Kiesbauer und zwei Sprengfallen. Sie forderten vier Todesopfer und 15 teils schwer Verletzte. Bei einer Verkehrskontrolle am 1. Oktober 1997 enttarnte sich Franz Fuchs durch einen Selbstmordversuch selbst. Er starb am 26. Februar 2000 durch Suizid in seiner Haftzelle.
Die Anschläge des Franz Fuchs
Die erste Serie Anfang Dezember umfasste zehn Briefbomben. Die Adressaten waren der Pfarrer August Janisch, ORF-Moderatorin Silvana Meixner und der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, alle drei wurden schwer verletzt. Eine Angestellte eines Masseverwalters wurde durch eine Bombe an einen Ausländer-Hilfsverein verletzt. Die Sprengsätze an Caritas-Präsident Helmut Schüller, die Grünen-Politikerinnen Madeleine Petrovic und Terezija Stoisits, Frauenministerin Johanna Dohnal, Universitätsprofessor und Vorstandsmitglied des Artikel-VII-Kulturvereins Wolfgang Gombocz und die Arbeitsgemeinschaft für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte der Wirtschaftskammer wurden vorzeitig entdeckt.
Im August 1994 wurden der Polizist und Sprengmeister Theo Kelz und zwei Kollegen beim Abtransport einer vor einer zweisprachigen Volksschule platzierten Rohrbombe verletzt. Kelz verlor beide Hände, ihm wurden sechs Jahre später erfolgreich Spenderhände transplantiert.
Die zweite Briefbombenserie im Oktober 1994 bestand aus konstruktionsbedingten Blindgängern. Empfänger waren der Wieser Verlag in Klagenfurt, eine Papierfabrik in Hallein, der Abt des Stifts Wilten in Innsbruck und die Ausländerberatungsstelle in Dornbirn.
In der Nacht vom 4. auf 5. Februar 1995 wurden in Oberwart vier Roma durch eine Sprengfalle getötet. Die Rohrbombe war an einem Schild mit der Aufschrift “Roma zurück nach Indien” angebracht. Zwei Tage später wurde ein Mitarbeiter des burgenländischen Umweltdienstes durch eine weitere Sprengfalle die Hand zerfetzt.
Die dritte Briefbombenserie im Juni 1995 ging an Arabella Kiesbauer, dem stellvertretenden Bürgermeister von Lübeck Dietrich Szameit und eine Partnervermittlung in Linz. Es wurden je ein Mitarbeiter von Kiesbauer und Szameit und die Mitinhaberin der Agentur verletzt.
Die vierte Serie ging Mitte Oktober 1995 an zwei Ärzte ausländischer Herkunft und die Sozialarbeiterin Maria Loley. Sie und der aus Syrien stammende Arzt wurden verletzt, die an den Südkoreaner versandte Sprengsatz wurde entdeckt.
Zwei der vier Bomben der fünften Serie explodierten im Dezember 1995 frühzeitig in Postkästen, zwei wurden frühzeitig entdeckt. Gedacht waren sie für das UN-Flüchtlingskommissariat, eine ungarische Partnervermittlungsagentur, Angela Resetarits (Mutter von Lukas, Willi und Peter Resetarits) und eine aus Indien stammende Wiener Familie. Willi Resetarits war bei SOS Mitmensch tatkräftig engagiert.
Eine letzte Briefbombe versandte Fuchs Ende 1996 an die Stiefmutter von Innenminister Caspar Einem. Der Sprengsatz explodierte bei der polizeilichen Untersuchung.
Terror zwischen Jörg Haider und SOS Mitmensch
Der Bombenterror des Franz Fuchs fand nicht im politischen Vakuum statt. Jörg Haider führte seit 1986 die FPÖ im Windschatten der Waldheim-Affäre in zuvor unbekannte Wählergunsthöhen. 1991 lobte er noch als Kärntner Landeshauptmann die “ordentliche Beschäftigungspolitik” des Dritten Reichs. Mit Gottfried Küssel stand von 1992 bis 1994 eine der Schlüsselfiguren der österreichischen Rechtsextremen vor Gericht. Der bekennende Rassist und Nationalsozialist musste sich für die Aktivitäten der von ihm mitbegründeten “Volkstreuen außerparlamentarische Opposition” und seinen Aussagen wegen Wiederbetätigung öffentlichkeitswirksam vor Gericht verantworten. In Deutschland brannten seit den Ausschreitungen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen immer wieder Asylheime. Am 29. Mai 1993 starben fünf Menschen, darunter ein vierjähriges Kind in Solingen, als vier Täter ein von Türken bewohntes Haus anzündeten. Ebenfalls 1993 setzte die FPÖ das Volksbegehren “Österreich zuerst” auf, was zur Abspaltung des liberalen Flügels und zur Gründung des Liberalen Forums (LIF) führte, das 2014 in den Neos aufging. Auch SOS Mitmensch wurde als Reaktion auf diese als Anti-Ausländer-Volksbegehren wahrgenommene Initiative gegründet, ein Lichtermeer erhellte die Ringstraße.

Die vier Briefbomben im Herbst 1994 wurden eine Woche vor den Nationalratswahlen zugestellt und beschäftigen auch die Vorarlberger Landespolitik. “Die Briefbombenserie ist Ausdruck des derzeitigen politischen Klimas, eine Saat der Ausländerhetze” war Gerhard Zechner von der SPÖ in Vorarlberg überzeugt. Die FPÖ Vorarlberg, damals unter der Führung von Ewald Stadler, fragte nach dem Nutznießer. “Diese Aktionen sollen der FPÖ schaden und nützen jetzt, vor der Nationalratswahl, den linken Gruppierungen”, stellte er sich gegenüber den VN auf eine Ebene mit den Empfängerschaft der Sprengsätze. Es sei ein Versagen der Polizei, dass sie bislang nur in eine Richtung fahnde. Die Grünen, selbst Adressat zweier Bomben, verteidigten ihren Kurs der Integration und Humanisierung der Ausländergesetze. Siegi Stemer von der ÖVP verurteilte die gemeinen und heimtückischen Verbrechen und versprach mehr Kompetenzen für die Ermittler.

Das Stichwort der damaligen Zeit war die Rasterfahndung durch eine Zusammenführung verschiedener Datensätze. Diese wurde am 1. Oktober 1997 gesetzlich ermöglicht – dem Tag der Festnahme von Franz Fuchs. Eingesetzt wurde die Rasterfahndung jedoch bis heute nie. Die Nationalratswahl am 9. Oktober 1994 brachte ebenfalls keinen Gewinn für die “linken Gruppierungen”: Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP verloren an Rückhalt, die FPÖ gewann über fünf Prozent dazu. Ihre Abspaltung LIF kam mit knapp sechs Prozent in den Nationalrat, die Grünen gewannen um zweieinhalb Prozent hinzu. Die Regierungsparteien verloren 23 Sitze im Nationalrat, davon elf an das LIF, neun an die FPÖ und drei an die Grünen.
Vorarlberger untersuchte das “Bombenhirn”
Zu Fuchs’ Festnahme führten zwei Frauen, die sich von ihm verfolgt fühlten. Er sprengte sich in der darauffolgenden Straßenkontrolle bei einem Suizidversuch beide Hände weg, da er sich entdeckt fühlte. Am 2. Februar 1999 begann der Prozess, bei dem auch der Vorarlberger Gerichtsgutachter und Psychiater Reinhard Haller den Terroristen untersuchte. Am 26. Februar 2000 beging der zu lebenslanger Haft verurteilte Fuchs mit 50 Jahren in seiner Zelle Suizid.
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Chronologie der Briefbomben-Serie
3. Dezember 1993: In der oststeirischen Bezirksstadt Hartberg detoniert die erste Briefbombe und verletzt Pfarrer August Janisch. In der Minderheitenredaktion im Wiener ORF-Zentrum wird Redakteurin Silvana Meixner durch eine Briefbombe verletzt.
4. Dezember 1993: In der Caritas-Zentrale in Wien wird eine Briefbombe rechtzeitig entdeckt. Sie war an den damaligen Präsidenten Helmut Schüller gerichtet.
5. Dezember 1993: Eine Briefbombe verstümmelt die linke Hand des Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk. Eine an den Slowenischen Kulturverein im südsteirischen Bad Radkersburg geschickte Briefbombe wird ebenso entschärft wie eine an die Grün-Politikerin Madeleine Petrovic adressierte Bomben-Sendung.
6. Dezember 1993: Im Wiener Handelsgericht taucht eine Briefbombe auf, der eigentlich für die Grüne Migrationssprecherin Terezija Stoisits gedacht war. Im Posteinlauf des Bundeskanzleramtes wird ein an die damalige Frauenministerin Johanna Dohnal adressierter Sprengsatz entdeckt.
Viertes Terror-Opfer wird eine Sekretärin in einer Wiener Anwaltskanzlei. Sie öffnet einen Brief an den “Islamischen Ausländer-Hilfsverein”. Die zehnte und letzte Briefbombe der ersten Serie wird rechtzeitig abgefangen. Sie war für die ARGE Ausländerbeschäftigung der Wiener Wirtschaftskammer bestimmt.
Der Klagenfurter Bombenanschlag
24. August 1994: Auf dem Gelände der Rennerschule in Klagenfurt wird eine rund fünf Kilo schwere Bombe entdeckt. Drei Polizisten bringen den Sprengsatz in einem Streifenwagen zum Flughafen. Sie detoniert, der 40-jährige Beamte Theo Kelz verliert beide Unterarme, seine beiden Kollegen werden ebenfalls verletzt.
4. Oktober 1994: Eine einem Mitarbeiter des Gastarbeiterreferats der Diözese Feldkirch zugedachte Briefbombe wird entschärft. Auch Briefbomben an den Klagenfurter Wieser-Verlag und die Hallein Papier AG werden rechtzeitig abgefangen.
6. Oktober 1994: An den Abt des Stifts Wilten in Tirol wird eine Briefbombe geschickt und entschärft.
Die Morde von Oberwart
4./5. Februar 1995: An einer Wegkreuzung in der Nähe einer Roma-Siedlung in Oberwart explodiert – vermutlich kurz vor Mitternacht – eine Sprengfalle. Erst in der Früh frühen Morgenstunden werden die Leichen von vier jungen Männern entdeckt. Auch eine Tafel mit der Aufschrift “Roma zurück nach Indien” wird gefunden.
Die Bombenfalle von Stinatz
6. Februar 1995: Auf einem Altpapiersammelplatz in der kroatisch-burgenländischen Gemeinde Stinatz explodiert ein Sprengkörper und verletzt einen Mitarbeiter des Umweltdienstes Burgenland.
9. Juni 1995: In der Redaktion des TV-Senders “Pro 7” in München explodiert eine Briefbombe und verletzt eine Mitarbeiterin der Adressatin, Moderatorin Arabella Kiesbauer. In Linz wird die Betreiberin eines Partnervermittlungsbüro durch eine Briefbombe verletzt.
13. Juni 1995: In der norddeutschen Stadt Lübeck trifft die dritte Briefbombe dieser Serie ein. Der SPD-Geschäftsführer im Rathaus, Thomas Rother, wird beim Öffnen der Post verletzt.
16. Oktober 1995: Der aus Syrien stammende Gemeindearzt von Stronsdorf in Niederösterreich wird in seiner Ordination durch eine Briefbombe verletzt. Am Postamt von Poysdorf wird Flüchtlingshelferin Maria Loley (71) verletzt, als sie ein an sie adressiertes Schreiben öffnet. In Mistelbach entgeht ein aus Südkorea stammendes Arztehepaar knapp einem Briefbomben-Anschlag.
11. Dezember 1995: Sechs Tage vor der Nationalratswahl detonieren in einem Postkasten in Graz zwei von vier Briefbomben. Adressaten der Sendungen: Das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, eine in Wien lebende indische Familie, eine Partnervermittlungsagentur mit Postfach in Güns (Ungarn) sowie Angela Resetarits, die Mutter des Kabarettisten Lukas, des Sängers Willi (“Ostbahn Kurti”) und des ORF-Redakteurs Peter Resetarits.
9. Dezember 1996: Bei der Entschärfung explodiert eine Briefbombe, die an die Stiefmutter des damaligen Innenministers Caspar Einem, die Schriftstellerin Lotte Ingrisch, adressiert ist.