“Bombenhirn” Franz Fuchs: Vor 30 Jahren hielt sie eine Briefbombe in den Händen

Politik / 03.10.2024 • 05:50 Uhr
Vahide Aydin
Vahide Aydin erinnert sich an den Oktober 1994 zurück. VN/Rauch

Vahide Aydin ist seit 24 Jahren politisch aktiv. Lange davor war sie bei der Ausländerberatungsstelle in Dornbirn – und erhielt Post von Franz Fuchs.

Dornbirn Es war noch lange vor ihrer politischen Karriere, als Vahide Aydin am 4. Oktober 1994 in der Ausländerberatungsstelle in Dornbirn bei der Arbeit war. Bei ihnen landete an diesem Dienstagabend ein ungewöhnlicher Brief: Adressiert war er an Paul Nikolic vom Gastarbeiterreferat der Diözese, jedoch mit der Postadresse der Ausländerberatungsstelle. Um der Sache auf den Grund zu gehen, gab Leiterin Ilse Berktold den unförmigen Brief weiter an Mira Martinovic und Vahide Aydin. “Sie hat dann am Schluss gesagt, sie schaut nun noch die Post durch”, erinnert sich die spätere Grünenpolitikerin zurück.

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An eine Briefbombe dachte damals niemand von ihnen. “Wir haben geblödelt. Mira war eine hübsche Frau. Ich kann mich erinnern, dass ich gesagt habe, das ist sicher ein Verehrer, der dir Ohrringe geschickt hat”, verrät Aydin. Tatsächlich war es nicht ungewöhnlich, dass Klienten der Beratungsstelle stapelweise Dokumente sendeten. Der Absender war ein Frauenname, der eine seltsame Mischung aus jugoslawisch und türkisch darstellte, wie der Serbokroatin Martinovic und Alevitin Aydin damals feststellten. Um einen Blick hineinzuwerfen, öffneten die Beraterinnen das Kuvert etwas am Rand, hielten den Brief auf Augenhöhe – und blickten auf ein Drahtgewirr.

Alevitentum

Aleviten sind Anhänger der Lehre Alis. Etwa 15 Prozent der türkischen Bevölkerung zählt sich zu den Aleviten, es ist damit die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Ob es sich dabei um eine eigene Religion, eine separate islamische Konfession oder um eine Strömung des schiitischen Islams handelt, ist bis heute umstritten, sowohl in der Lehre wie unter den Anhängern. Er steht jedoch in allen drei Auslegungen im Widerspruch zum im arabischen und türkischen Raum dominanten Sunnitentums. Er muss sich bis heute in der Türkei gegen Diskriminierung und Vereinnahmung behaupten.

“Wäre sie da detoniert, wären wir zumindest entstellt gewesen”, räumt Aydin ein. Es war die zweite von insgesamt sechs Briefbombenserien der “Bajuwarischen Befreiungsarmee”, deren einziges Mitglied Franz Fuchs war. Vier Briefbomben gingen neben den Dornbirner Verein zum slowenischen Wieser Verlag in Klagenfurt, einer Papierfabrik in Hallein und dem Abt des Stifts Wilten in Innsbruck. Ein Konstruktionsfehler machte aus allen vier Briefbomben Blindgänger. Obwohl die beiden Frauen weiterhin nicht wirklich an einen Sprengsatz glaubten, brachte die Serbokroatin den Brief zur Polizei. Danach begannen die Ermittlungen, erinnert sich Aydin.

"Bombenhirn" Franz Fuchs: Vor 30 Jahren hielt sie eine Briefbombe in den Händen
So unscheinbar präsentierte sich die Briefbombe. APA

Nachwirkungen

Franz Fuchs hielt dies vorerst nicht auf. Angefangen hatte es im Dezember 1993, bis Ende 1996 forderten seine Bomben vier Todesopfer und 15 teils schwer Verletzte. Bei einer Verkehrskontrolle am 1. Oktober 1997 enttarnte sich Franz Fuchs durch einen Selbstmordversuch selbst. Er starb am 26. Februar 2000 durch Suizid in seiner Haftzelle.

"Bombenhirn" Franz Fuchs: Vor 30 Jahren hielt sie eine Briefbombe in den Händen
Vahide Aydin im Oktober 1994. APA

Die Ausländerberatungsstelle musste derweil selbst einen Weg finden, mit dem versuchten Bombenterror fertig zu werden. “Wir haben uns selbst therapiert”, erklärt Aydin. Mit ihrer Wahl in den Vorarlberger Landtag 2009 wurde die Erinnerung wieder zur kurzen Realität: Ihre zwölfjährige Tochter fand in der Post einen auffällig dicken und seltsamen Brief. Dabei handelte es sich jedoch um ein Sammelwerk an Vergehen und Verbrechen der Migranten in Österreich. Und bis heute sei sie vorsichtig, wenn Briefe kommen.

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In diesem Haus befand sich 1994 die Ausländerberatungsstelle. APA

Ihren Sitz im Landtag stellt sie inzwischen der nächsten Generation zur Verfügung. Auf die aktuellen politischen Entwicklungen blickt sie aber mit Sorge. Denn sowohl bei den Islamisten wie auch bei der Wahlplakatkampagne der FPÖ mit dem Slogan “Euer Wille geschehe” sieht sie den Bezug auf einen Auftrag “von oben”, gegen den politischen Gegner vorzugehen. “Dadurch wird die Diversität in unserem Land geschädigt. Wir könnten sehr viel gemeinsam und miteinander für eine friedvolle Zukunft die Köpfe zusammenstecken und schauen, wie wir Vorarlberg für alle lebenswerter machen”, setzt sie weiterhin auf Vielfalt und Diskurs.

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Am 5. Oktober berichteten die VN über die Briefbombe in Dornbirn.

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