Wirtschaftsstandort Vorarlberg: Eine Herausforderung und Chance für die neue Landesregierung

Am Montag trafen sich ÖVP und FPÖ erstmals zu Verhandlungen. Am Tisch lag die Stärkung des Wirtschaftsstandorts. Es gibt viel zu tun, um den Wirtschaftsstandort zu stärken. Die Junge Wirtschaft fordert eine Entbürokratisierung und Digitalisierungsoffensive. Ganz oben stehen Maßnahmen, um Fachkräfte zu halten und anzulocken.
Bregenz Christof Bitschi kommt wieder zuerst. Vor ihm liegt die Tür zum Verhandlungszimmer, in dem er sich mit seinem Team die kommenden zwei Wochen mit der ÖVP zusammen setzen wird. Ziel ist die Regierungsbildung. “Bis zur konstituierenden Sitzung des Landtags am 6. November werden wir das mit großer Sicherheit hinbekommen“, sagt er. Wie lange die Verhandlung an diesem Tag dauern wird: „Das hängt von den Teilnehmern ab.“
Bitschi huscht in den Raum. Dann kommt Landeshauptmann Markus Wallner. „Das Standort- und Wirtschaftskapitel ist sicher eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Kapitel, neben den Fragen Zuwanderung, Sicherheit, Wohnen und Energie“, begründet der ÖVP-Chef die Themenauswahl für den Verhandlungsstart. Es stellen sich mehrere Fragen, sagt Wallner: „Wie können wir die Wirtschaft stützen? Wie können wir den Arbeitsmarkt aufrechterhalten, sodass er gut funktioniert?“ Es gehe um Bürokratieabbau, effizientere Genehmigungsverfahren, Blick auf den Fachkräftemangel sowie Maßnahmen für Forschung und Innovation.

Bessere Ausgangslage als im Osten
Das sind auch jene Punkte, die Wirtschaftsexperten als drängend herausstreichen. Jürgen Huber ist Professor für Finanzwirtschaft und seit 2008 Leiter des Instituts für Banken und Finanzen der Universität Innsbruck. Vorab attestierte er Vorarlberg eine vorteilhafte Ausgangslage: “Bei aller Miesepetrigkeit muss man sagen, dass die westlichen Bundesländer grundsätzlich über die letzten Jahrzehnte hinweg deutlich besser gewirtschaftet haben als die östlichen.” Sowohl Tirol als auch Vorarlberg besitzen noch ihre Wohnbauförderung, Stromkraftwerke und -anbieter und den größten Teil ihrer Landesbanken.
“Harte Zeiten und wenig Wirtschaftswachstum liegen vor uns.”
Jürgen Huber, Professor für Finanzwirtschaft
Dennoch betreffe Vorarlberg natürlich auch die in ganz Österreich schwierige wirtschaftliche Lage, sagt Huber: “Harte Zeiten und wenig Wirtschaftswachstum liegen vor uns.” Wichtige Strukturreformen seien im Bund verabsäumt worden, die Krisen wurden “mit der Gießkanne zugedeckt”. Das habe auch die Inflation angeheizt, damit einhergehend sind Mieten, Löhne und Pensionen weiter gestiegen. “Das Kernergebnis ist, dass wir sehr hohe Schuldenstände und Defizite haben und Wirtschaftstreibende sich sehr schwertun.” Einfache Wunderlösungen gebe es nicht, sagt der Experte. “Die neue Landesregierung wird mit dem arbeiten müssen, was sie in die Hand bekommt: einer bundespolitisch schwierigen Wirtschaftslage, dem Wettbewerb aus der Schweiz und Liechtenstein um Arbeitskräfte und dem begrenzten Raum und widerstreitenden Interessen darum.”

Hohe Energiekosten in Europa als Nachteil
Ein Faktor sind die in Europa sehr hohen Energiekosten, sagt der Betriebswirt: “Sie sind bei uns etwa viermal so hoch und machen acht Prozent der durchschnittlichen Kosten von Industrieunternehmen aus. In den USA und China betragen sie nur zwei Prozent.” Da könne Vorarlberg nichts dafür, aber Österreich schon “ein bisschen, da es sich in die Geiselhaft der russischen Gaslieferanten begeben hat”, sagt Huber. Vorarlberg habe aber zumindest eine gewisse Kontrolle über die Stromkosten, da die Illwerke vkw dem Land gehören.

Entbürokratisierung und Kinderbetreuung
Alexander Deuring und Tim Mittelberger sind Vorsitzende der Jungen Wirtschaft Vorarlberg (JW). “Wir möchten nicht schwarzmalen. Wir sind noch immer ein hervorragender Wirtschaftsstandort. Aber es sind ein paar Hausaufgaben zu machen”, sagt Mittelberger. Daher hat die JW für die künftige Landesregierung einen Katalog erstellt, welche drei Punkte aus ihrer Sicht besonders drängen: Entbürokratisierung, Digitalisierung und Fachkräfte.
Gerade bei der Raumplanung seien die bürokratischen Hürden hoch, Gestaltungsbeiräte verzögerten Projekte aufgrund von Details oder brächten sie ganz zum Stillstand, berichtet Mittelberger: “Unternehmen überlegen sich daher mittlerweile genau, ob sie Strukturen erweitern und Wachstum angehen wollen, weil es solche Monstrositäten an Bürokratie mit sich bringt.”
“Bei der Digitalisierung soll Vorarlberg zur Modellregion werden”, sagt Deuring. Eine Idee der JW ist ein Vorarlberg-Dashboard, um Quantität und Qualität von Prozessen transparent zu dokumentieren.
Ziel müsse zudem sein, dass Vorarlberg attraktivster Arbeitsraum in der Bodenseeregion wird. Dazu seien unmittelbar drei Maßnahmen notwendig: Ein massiver Ausbau der Kinderbetreuung, mehr internationale öffentliche Schulen für die Kinder von ausländischen Fachkräften und eine Landesstelle, die sich für alle Unternehmen einsetzt.
