Sinkende Fahnen, Sturm auf die Werft: Als Fußach die Republik beschäftigte

Politik / 21.11.2024 • 13:30 Uhr
Hastig überpinselt, muss der Name „Karl Renner“ weichen.  
Die Bevölkerung machte 1964 beim Sturm auf die Werft die “Vorarlberg” zur Realität. Volare/Spang

Es war kein gutes Jahr für die SPÖ in Österreich, als sich Vorarlberg gegen die “Karl Renner” stellte.

Bregenz Mit dem September 1964 begann ein unruhiger Herbst für die noch relativ junge Republik. So wurde der Gewerkschafter und Innenminister Franz Olah von seiner eigenen Partei gestürzt, da er Gewerkschaftsgelder veruntreute. So unterstützte er die Gründung der Kronenzeitung in der Hoffnung auf ein SPÖ-freundliches Blatt im Lager der unabhängigen Zeitungen, aber auch die FPÖ mit einer Million Schilling aus dem Gewerkschaftstopf. Die Absetzung und Rauswurf des beliebten Politikers und KZ-Überlebenden ging nicht ohne Unruhen und Proteste über die Bühne. Für den Oktober stand das von der unabhängigen Printpresse initiierte Rundfunkvolksbegehren an, das den ORF entpolitisieren sollte. Das Klima in der Großen Koalition war entsprechend schlecht. Für die so angeschlagene SPÖ kam die Causa in Vorarlberg zur Unzeit.

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Mit Transparenten machten sich die Demonstranten Luft.Volare/Spang

Im Herbst 1963 bestellten die Österreichischen Bundesbahnen bei der Schiffswerften AG in Korneuburg ein Motorschiff für den Linien- und Ausflugsverkehr, das in etwa der Größe der ebenfalls dort gebauten “Austria” entsprechen sollte. Das Schiff wurde in Einzelteilen nach Fußach transportiert, wo im Sommer 1964 die Endmontage stattfand. Parallel begann der Streit um die Namensgebung: Während die Vorarlberger Landesregierung und die Bezirkshauptmannschaft Bregenz den Namen “Vorarlberg” für das neue Bodenseeschiff vorschlugen, entschied sich Verkehrsminister Otto Probst der SPÖ für den Namen des zweifachen Republikbegründers “Karl Renner”. Ein Novum am See. Mit dem Ende der Monarchie wurden die nach Vertretern des Haus Habsburg benannten Dampfschiffe und Motorboote auf dem Bodensee durchwegs nur mit geografischen Ortsnamen versehen. Neben der “Austria” und “Oesterreich” fuhren etwa die “Stadt Bregenz” in der Schiffsklasse wie die Motorboote “Silvretta”, “Montafon”, “Feldkirch” und “Dornbirn” am See. Dass die SPÖ einen Personenkult im Geiste der Monarchie wiedererwecken wollte, irritierte am Bodensee.

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Am Bahnhof warteten Demonstranten auf den Minister. Volare/Spang

Es eskaliert in Fußach

Am 1. Oktober wurde dann vom Verkehrsministerium bestätigt, dass das Schiff “Karl Renner” heißen soll. Interventionsversuche der Vorarlberger Politik verhallten ungehört. Das Problem war weniger die Person Renner, sondern das “Drüberfahren” der als zentralistisch wahrgenommenen Bundes-SPÖ dar. Während sich das ÖVP-Parteiblatt “Vorarlberger Volksblatt” mit Rücksicht auf den Koalitionspartner noch zügelte, setzte sich die privaten Vorarlberger Nachrichten an die Spitze des Protestes. Und dies nicht ohne Rückhalt im Land: Am 17. November entschloss sich die Vorarlberger Landesregierung, der Schiffstaufe fernzubleiben. Dem schlossen sich mehrere Vorarlberger Gebietskörperschaften und sogar verschiedene Vertreter von Bundesbehörden in Vorarlberg an. Am Tag vor der Taufe berichtete man von Gerüchten über Proteste, am 21. November begrüßte die Zeitung friedliche Willenskundgebungen, da Probst mit dieser Namenswahl ganz Vorarlberg brüskiere.

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Weder der Zaun noch die Gendarmerie wurde der Situation Herr. Volare/Spang
MS Vorarlberg
Das belagerte Motorschiff. Volare/Spang

Tatsächlich versammelten sich Zehntausende Vorarlbergerinnen und Vorarlberger. Der in Bregenz einfahrende Sonderzug wurde von etwa tausend Demonstranten erwartet und unter dem Motto “Obst für Probst” mit Tomaten beworfen. In Fußach selbst erwarteten 20.000 Protestierende die Festgäste, Tomaten und faule Eier flogen auf die anreisende Prominenz. 130 Gendarmen konnten den Sturm des Werftgeländes nicht verhindern. Der Vorarlberger SPÖ-Abgeordnete Ernst Haselwanter musste sich in einer Bauhütte vor fliegenden Erdbrocken und Steinen in Sicherheit bringen. Während die Festgäste auf die bereitstehende “Oesterreich” flüchteten, führten die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger das Schiff in einer Nottaufe dem gewünschten Namen zu.

MS Vorarlberg
Die Menge vor dem Schiff. Im Hintergrund wurden die Staatsfahnen scheinbar auf Halbmast gesetzt. Volare/Spang
Turbulente Schiffstaufe am 21. November 1964. Foto: VN-Archiv
Die Schiffstaufe wurde von der Bevölkerung übernommen. Volare/Spang

Verkehrsminister Probst selbst war noch auf der Anreise per Motorboot über den Bodensee, drehte jedoch angesichts der Ereignisse wieder ab. Noch in Bregenz versuchte er, sowohl das “Volksblatt” als auch die VN wegen Aufforderung zum offenen Aufruhr beschlagnahmen zu lassen, scheiterte damit jedoch bei der Staatsanwaltschaft. Die Bilanz des Tages: Eine abgesagte Schiffstaufe, drei verletzte Gendarmen, niedergerissene Zäune, drei beschädigte Autos und mehrere Anzeigen. Ob Fahnen des Bundes im Dreck landeten oder nur auf halbmast gesetzt wurden, beschäftigte schnell die Politik. Im Fall der VN wurde gegen einen Redakteur und den Herausgeber wegen Aufwiegelung ermittelt.

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MS Vorarlberg
Das Bundesheer in Fußach. Scheinbar wurde eine Kompanie in Bewegung gesetzt, kam jedoch in der Werft nicht zum Einsatz. Volare/Spang

Nachspiel in Wien

In der SPÖ-eigenen Arbeiterzeitung fühlte man sich an die faschistischen Tendenzen am Ende der ersten Republik erinnert. Als Beweis für eine staatsfeindliche Gesinnung der Vorarlberger diente die Bundesfahne im Dreck. Die damals noch kirchennahe Wochenzeitung Furche betonte wiederum, dass Vorarlberg wie ein besetztes Land behandelt wurde. In Wien wurde die Zukunft der Großen Koalition infrage gestellt. Die SPÖ fühlte sich außerdem mit ihrer Skepsis gegen die unabhängige, aber meist bürgerliche und damit SPÖ-kritische Presse bestätigt. Die ÖVP wollte die Ausschreitungen erst nicht, dann nur alle in diesem Jahr unter gleichen Vorzeichen stattgefundenen Rechtsverletzungen verurteilen. Dann hätte die SPÖ aber auch die Unruhen rund um die Olah-Krise der eigenen Wählerschaft verurteilen müssen, die bislang nicht strafrechtlich verfolgt wurden.

Sinkende Fahnen, Sturm auf die Werft: Als Fußach die Republik beschäftigte

Im Gegensatz dazu die Rädelsführer in Vorarlberg. So gaben die VN am 17. Dezember Hinweise, wie man der Polizei antworten könne, ohne sich oder andere der Strafverfolgung auszusetzen. Am 3. April 1965 demonstrierten zwischen 30 und 40.000 Menschen am Bregenzer Kornmarktplatz für den Namen “Vorarlberg”, am 30. Juli gab Probst dem öffentlichen Druck nach. Per Ferntaufe an einem Schiffsmodell in der Werft Korneuburg wurde aus der “Karl Renner” die “Vorarlberg”. Ende September ließ der neugewählte Bundespräsident Franz Jonas, selbst von der SPÖ, alle Verfahren einstellen. Das 1974 realisierte Gesetz gegen die Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole (§ 248 StGB) wurde damals auch als “Lex Fußach” bezeichnet.

Die Österreich-Fahne wurde kurzerhand vom Mast genommen.
Ob die Fahnen nun auf Halbmast gesetzt oder in den Dreck geworfen wurde, war schlussendlich eine Frage des politischen Standpunktes statt der Fakten. Volare/Spang
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Noch im April gingen Tausende für die “Vorarlberg” auf die Straßen Volare/Spang