Dutzende Frauen suchten Schutz: “Sie sehen, dass eine Trennung gefährlich wird”

Politik / 27.11.2024 • 15:05 Uhr
Interview mit Elisabeth Gruber vom Ifs
“Der Aufenthalt in der ifs-FrauennotWohnung ist tatsächlich eine Chance auf ein gewaltfreies Leben”, sagt Elisabeth Gruber-Vögel, Leiterin der FrauennotWohnung des ifs.

Die neue Leiterin der ifs Frauennotwohnung berichtet von der Gefährdungslage für Frauen in Vorarlberg. Man arbeite immer an der Grenze. Die Plätze werden knapp.

Schwarzach Das Ausmaß häuslicher Gewalt wird völlig unterschätzt. Davon ist Elisabeth Gruber-Vögel überzeugt. Sie leitet seit diesem Monat die ifs Frauennotwohnung, also jenen Ort, wo Frauen Schutz finden, wenn sie Gewalt ausgesetzt oder von dieser bedroht sind. 62 Frauen und 60 Kinder zählt die Einrichtung heuer bereits zu ihren Klienten. Aktuell leben 14 Frauen mit 17 Kindern dort. Die Plätze sind fast gefüllt. Notbetten könnten nötig werden.

Wer sind die Frauen, die sich bei der Frauennotwohnung melden?

Elisabeth Gruber-Vögel Meistens Frauen, die keine finanzielle Möglichkeit für eine andere Unterkunft haben, denen die sozialen Netzwerke fehlen oder Frauen, bei denen es schnell gehen muss, beziehungsweise deren Gefährdung dermaßen groß ist, dass es für sie sonst keinen Schutzraum gibt.

Wie sieht derzeit die Belegung aus?

Gruber-Vögel Derzeit ist nur noch ein Platz frei. Der Langzeittrend zeigt auch, dass immer mehr Frauen kommen und sie in der Regel auch länger bleiben. Frauenhäuser sind auch Schutzunterkünfte für Kinder. Derzeit leben bei uns 14 Frauen und 17 Kinder – vom Baby bis zur oder zum 16-Jährigen.

Was passiert, wenn der letzte Platz belegt ist?

Gruber-Vögel Dann weichen wir auf Notbetten aus, zum Beispiel im Wohnzimmer.

Welche Geschichten stecken hinter den Frauen, die Schutz suchen?

Gruber-Vögel Der Hauptgrund ist Gewalt und die Gefahr, dass die Gewalt stärker wird. Bei einigen steckt auch Tötungsgefahr dahinter.

ABD0096_20240913 – WIEN – …STERREICH: ++ THEMENBILD ++ Illustration zu den Themen ?Frauenhaus / Gewalt gegen Frauen / Gesellschaft / Sicherheit / Frauen &MŠnner? – Eine Person in einer Wohneinheit in einem Frauenhaus in Wien, aufgenommen am Freitag, 13. September 2024. (Gestellte Szene). – FOTO: APA/BARBARA GINDL
Frauenhäuser bieten Frauen österreichweit Schutz, die vor häuslicher Gewalt flüchten. APA

Wie sehen bei Ihnen die ersten Tage einer Frau aus?

Gruber-Vögel Wir versuchen, dass sie zuerst einmal, wenn sie das will, im Haus bleibt. Wir verfolgen, wie oft sich der Gefährder meldet. Gerade die Zeit der Trennung ist eine heikle Situation, wenn der Mann sieht, dass die Partnerin weg ist und nicht weiß, wo sie ist. Das ist hoch eskalativ. Wir warten dann ab, bis die Frau die ersten Schritte nach außen macht, natürlich mit einem Sicherheitskonzept.

Stellen sich viele Frauen die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte?

Gruber-Vögel Die Gründe, warum Frauen teilweise lange in Gewaltbeziehungen leben, sind komplex. Oft sind es finanzielle Fragen, Fragen des Einkommens, die Frauen mit Kindern automatisch in Abhängigkeitsverhältnisse treiben. Viele Frauen wünschen sich, ihre Familie doch noch zu erhalten. Ein anderer Grund ist auch, dass Partner drohen: „Wenn du dich von mir trennst, dann wird es uns alle nicht mehr geben, dann bringe ich uns alle um.“ Die Frauen sehen also, dass es richtig gefährlich wird, sobald es in Richtung Trennung geht. Und wir haben das Problem, dass sich ein Großteil der Gewalt nach der Trennung durch Stalking-Handlungen fortsetzt.

Bei Frauen, die schon bei Ihnen sind?

Gruber-Vögel Ja. Bei manchen ist es so, dass die Übergriffe durch Cybermobbing oder Cyberstalking weitergehen. 80 Anrufe am Tag, ständige Kontrollnachrichten, Versuche über den GPS-Tracker herauszufinden, wo sich die Frau aufhält. Hier sind neue Sicherheitskonzepte gefragt.

Wird die Polizei involviert, wenn es zu Drohungen kommt?

Gruber-Vögel Nur, wenn es die Betroffene will. Aber wir sprechen darüber und bieten Beratung an.

Hat sich die Bedrohung über die Jahre geändert?

Gruber-Vögel Man merkt, dass sich viel Gewalt auf soziale Medien verschiebt. Das Gefühl, endlich einmal Ruhe zu haben, ist dadurch weg, selbst wenn man in die Frauennotwohnung kommt. Wir sehen auch, dass sich mehr Frauen melden. Das hat aber sicher auch mit den Sensibilisierungsmaßnahmen zu tun. Vom Spektrum der Gewaltformen ist immer noch alles da.

Was passiert, wenn auch die Notplätze voll sind? Gibt es Ausweichmöglichkeiten?

Gruber-Vögel Wir haben bis jetzt immer eine Lösung gefunden und werden immer eine Lösung finden. Aber wir sind immer an der Grenze. Mit dem neuen Frauenhaus, dessen Neubau 2025 startet, wird es am Ende mehr Plätze gegeben.

Interview mit Elisabeth Gruber vom Ifs
Die neue Leiterin der ifs FrauennotWohnung Elisabeth Gruber-Vögel war zu Gast bei den VN. VN/Rhomberg

Wie werden die Frauen begleitet?

Gruber-Vögel Für die Frauen sind Sozialarbeiterinnen da. Da geht es viel um Gespräche von der psychischen Gesundheit über das soziale Netz bis zur Sicherheit.

Was brauchen die Kinder?

Gruber-Vögel Kinder brauchen sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit. Sie sind Zeugen von Gewalt, haben mitunter selbst Gewalt erlebt und befinden sich in einer akuten Krise. Die Kinder werden aus dem sozialen Umfeld gerissen, haben plötzlich kein eigenes Zimmer mehr: Es verändert sich sehr viel für sie. Das ist ein Bereich, der noch viel, viel mehr Aufmerksamkeit braucht. Wir können nicht immer externe Dienste reinholen, gerade, wenn Schutz- und Sicherheitsthemen so stark sein muss. Da braucht es die Hilfe im Haus bei uns.

Haben Sie dafür zu wenige Kapazitäten?

Gruber-Vögel Es ist sich ein Thema, über das man in Zukunft reden muss.  

ABD0100_20240913 – WIEN – …STERREICH: ++ THEMENBILD ++ Illustration zu den Themen ?Frauenhaus / Gewalt gegen Frauen / Gesellschaft / Sicherheit / Frauen &MŠnner? – Die TŸre zum ?KinderbŸro? in einem Frauenhaus in Wien, aufgenommen am Freitag, 13. September 2024. – FOTO: APA/BARBARA GINDL
Das “Kinderbüro” in einem Wiener Frauenhaus. Gruber-Vögel hofft hier auf mehr Kapazitäten. APA

Was kann ein Frauenhaus für die Kinder leisten?

Gruber-Vögel Das Kind muss als Einzelperson wahrgenommen werden, auch losgelöst von den Problemen ihrer Mutter. Die Kinder haben oft die Rolle der schützenden Person und wenig Idee von sich selbst. Viele machen sich selbst Vorwürfe. Die Schuldideen der Kinder muss man aufbrechen. Es braucht viele Gespräche, Spielräume…

Wie lange bleibt eine Frau durchschnittlich bei Ihnen?

Gruber-Vögel Rund zweieinhalb Monate. Es gibt Frauen, die nur wenige Tage bleiben, aber auch Frauen, die über ein Jahr da sind, weil die Gefährdung bleibt oder sich Verfahren ewig ziehen.

Interview mit Elisabeth Gruber vom Ifs
Elisabeth Gruber-Vögel berichtet, dass die geheime Adresse viele Herausforderungen mit sich bringt. VN/Rhomberg

Kehren Frauen auch wieder zu ihren Partnern zurück?

Gruber-Vögel Ja. Aber die Zahl ist rückläufig. Frauen, die sich bei uns melden, sind sehr entschlossen und haben sich das gut überlegt. Es gibt Krisenanrufe, aber die meisten Anrufe erreichen uns tagsüber. Fast 50 Prozent kommen über Einrichtungen zu uns, etwa das Gewaltschutzzentrum, Krankenanstalten oder die Polizei.

Im neuen Frauenhaus, das 2026 eröffnen soll, gibt es keine geheime Adresse mehr, sondern ein offenes Konzept. Ist das sicher?

Gruber-Vögel Zentral ist, dass trotz bekannter Adresse die Sicherheitsvorkehrungen stimmen. Das bedeutet: Sicherheitsschleuse, es wird im dritten Stock sein, der Eingang wird nicht durch die Beratungsstelle führen. Da werden wir gut mit der Polizei zusammenarbeiten. Die Idee ist, mehr Spielraum zu gewinnen und auch für die Frauen mehr Normalität. Die Geheimhaltung der Adresse ist mit viel Kontrolle verbunden. Wir müssen zum Beispiel schauen, dass die Frauen ihren Standort am Handy deaktiviert haben. Eine geheime Adresse ist aber auch mit sozialer Isolation verbunden, weil Besuch für die Frauen nicht möglich ist. Das heißt, soziale Kontakte sind nicht möglich. Soziale Kontakte sind aber zentral, um aus einer Gewaltbeziehung aussteigen zu können.

Wenn eine Frau aus der Frauennotwohnung auszieht, wird sie weiterbetreut?

Gruber-Vögel Ja. Der Übergang wird gut betreut. Die Frauen sollen nicht das Gefühl haben, dass sie wieder allein sind. 15 Prozent der Frauen kommen wieder zu uns. Das ist ein Zeichen, dass Vertrauen da ist. Aber es zeigt auch, dass häusliche Gewalt eine starke Tendenz zur Wiederholung hat. Häusliche Gewalt wird ohne Intervention in der Regel schlimmer. Der Aufenthalt in der ifs-Frauennotwohnung ist tatsächlich eine Chance auf ein gewaltfreies Leben. Es braucht Zeit, um sich zu ordnen und dann die nächsten Schritte zu setzen. Diese bekommen sie bei uns.

Zur Person

Elisabeth Gruber-Vögel ist seit zehn Jahren im Gewaltschutzbereich tätig, davon sieben Jahre im Gewaltschutzzentrum in Wien, drei Jahre in Vorarlberg – vor allem im Bereich von Beratungen, Schulungen und Vernetzungsarbeit. Seit drei Wochen leitet sie das Frauenhaus des ifs (Frauennotwohnung). Dabei handelt es sich um eine stationäre Opferschutzeinrichtung, in der Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, (mit ihren Kindern) Schutz finden.

Die Frauennotwohnung ist unter 05/1755577 erreichbar.