Nach Urteil gegen Simon Tschann: „Man kann nicht alles lesen und tut das auch nicht“

Lustenauer Bürgermeister Kurt Fischer zeigt sich betroffen. Gemeindeverbandspräsidentin warnt vor Folgen bei Rechtskraft.
Bregenz Ich bin von einem Freispruch ausgegangen“, sagte Gemeindeverbandspräsidentin Andrea Kaufmann (ÖVP). Das – nicht rechtskräftige – Urteil gegen den Bludenzer Bürgermeister Simon Tschann (ÖVP) hat sie überrascht. Die Signalwirkung könnte gleich in mehreren Bereichen verheerend sein, warnt sie. Auch der Lustenauer Bürgermeister Kurt Fischer äußerte Bedauern: „Wenn jemand in so jungem Alter Verantwortung übernimmt und jetzt in eine solche Situation kommt, macht es betroffen.“ In Lochau erklärte Bürgermeister Frank Matt (Grüne), dass es sich um ein erstes Urteil handle, das zu respektieren sei. Die Opposition im Landtag forderte weiter den Rücktritt.

Tschann war am Mittwoch zu elf Monaten bedingter Haft und einer Geldstrafe von 51.000 Euro verurteilt worden, weil er nach Ansicht des Gerichts 2021 als Baubehörde eine Wohnanlage bewilligte, obwohl dafür nicht alle Voraussetzungen erfüllt waren und er das wusste.

Die SPÖ-Bürgermeister Martin Staudinger (Hard) und Michael Ritsch (Bregenz) wollten das Urteil nicht kommentieren. Dieter Egger (FPÖ, Hohenems) hielt sich ebenso zurück. Harald Witwer (ÖVP, Thüringen) sagte zum Urteil selbst nichts, betonte aber, dass der Druck auf Bürgermeister und die Erwartungshaltung enorm hoch sei. Man sei auf die Experten in den verschiedenen Abteilungen angewiesen. „Das geht nicht anders. Wir können nicht alles im Detail überprüfen. Wenn was ist, fällt es aber immer uns auf den Kopf.“ Es sei für die Öffentlichkeit einfacher, auf den Bürgermeister loszugehen als auf einen Mitarbeiter.

Michael Ritsch erklärte, dass sich ein Bürgermeister der Verantwortung bewusst sein müsse, die er übernehme. „Entscheidungen wollen sorgfältig getroffen werden.“

So äußert sich auch sein Amtskollege aus Lochau. “Man muss immer alles genau überprüfen, was man unterschreibt”, sagt Frank Matt. “Man ist natürlich auf die Arbeit der Fachabteilung angewiesen, aber schlussendlich liegt die Verantwortung beim Bürgermeister.” Er müsse dann auch die Konsequenzen tragen.

Über den Tisch eines Bürgermeisters wandert einiges. Dazu zählen nicht nur die zahlreichen Bauanträge vom Carport bis zum Mehrfamilienhaus, sagte Kurt Fischer. „Man kann nicht alles lesen und man tut das auch nicht.“ Bei einigen Projekten gebe es Besprechungen, um komplexe Sachverhalte zu klären. „Aber alltägliche Sachen laufen durch.“ Da leisteten die zuständigen Abteilungen gute Arbeit. „Man muss sich auf sehr viele Leute verlassen können.“ Letztverantwortlich bleibt der Bürgermeister – „mit der Heimadresse, nicht mit der Adresse des Rathauses.“

Gemeindeverbandspräsidentin Andrea Kaufmann betonte, dass die teils komplexen Aufgaben in den Gemeinden ohne Experten oft gar nicht zu bewältigen seien. Gerade in einem Bauverfahren sei Expertise aus Rechtswissenschaft, Architektur, Statik und Stadtplanung erforderlich. Das von einer Person zu fordern, die zudem viele andere Themen zu bearbeiten habe, sprenge die Möglichkeiten des Machbaren. Kaufmann warnt zudem vor bedenklichen Auswirkungen des Urteils auf Verfahrenslänge und -kosten. „Wenn dieses Urteil rechtskräftig wird, werden sich aus Angst vor Anzeigen künftig noch weniger Verfahrensleitende dazu durchringen, selbstständig ausgewogene Entscheidungen zu treffen und dadurch mit weiteren Gutachten die Verfahren verlängern und verteuern.“ Zudem zeige sich leider, dass strafrechtliche Anzeigen verstärkt zum politischen Werkzeug würden. Kaufmann warnt außerdem davor, dass dieses Urteil Signalwirkung bei der Personalsuche zeigen könnte. Denn dann könnte es noch schwieriger werden, Menschen für das Amt des Bürgermeisters zu begeistern.