Abrissbescheid für Riedhütte: “Eine menschliche Tragödie!”

Eine Familie muss ihre zwei Riedhütten in Lustenau abreißen. Ihr Fall steht exemplarisch für Probleme im ganzen Land.
Lustenau Den 100er wird diese Hütte nicht mehr erleben. 1932 ist sie erbaut worden. Heuer dürfte ihr letztes Jahr sein. Die Lipburgers halten einen Abrissbescheid in den Händen. “Für uns ist es eine Katastrophe. Es hängen viel Erinnerungen dran”, sagt Hüttenbesitzerin Christina Lipburger (45). “Ich habe meine ganze Kindheit hier verbracht.” Jetzt muss die Hütte weg. Ein Schicksal, das vielen Riedhüttenbesitzerinnen und -besitzern droht.

Die Hütte der Lipburgers ist eine von mehr als 1000 Hütten im Ried zwischen Lustenau, Hohenems und Dornbirn. Dass es mit diesen Hütten ein Problem gibt, ist seit vielen Jahren bekannt. Im Jahr 2011 verwies der Bundesrechnungshof am Rande einer Prüfung der Stadt Hohenems auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 1986, wonach viele der Hütten eine Baugenehmigung benötigen. Die meisten haben aber keine, zumindest keine gültige. Viele Genehmigungen wurden einst mündlich erteilt und sind heute nicht mehr nachvollziehbar. Vor allem Lustenau kämpft mit diesem Problem, denn allein rund 820 dieser Hütten stehen auf Lustenauer Gemeindegebiet. Seit zehn Jahren arbeitet eine Kommission Fall für Fall ab, 350 Stück sind schon abgeschlossen, 70 derzeit in Arbeit. Oft können Baugenehmigungen nachträglich erteilt werden. Manchmal müssen Hütten zurückgebaut – oder ganz abgerissen werden. “Davon gibt es aber ganz wenige”, sagt Lustenaus Bürgermeister Kurt Fischer. “Wir konzentrieren uns mit aller Kraft und einem mittlerweile bestens eingespielten und erfahrenen Team auf genehmigungsfähige Fälle. Übergroße, nicht genehmigte Hütten sind im raumplanungsrechltlichen Rahmen nicht zu sanieren.” Bisher ist aber keine Hütte abgerissen worden, fügt Fischer an. Die Hütte der Lipburgers könnte bald die erste sein.

Wolfgang Salzmann, Vater von Christina Lipburger, schildert, wie alles begann. “2019 wandte sich die Gemeinde Lustenau an uns. Wir müssten die Hütte im Nachhinein bewilligen lassen.” Also erledigen die Lipburgers den Papierkram, kurz darauf trifft das Antwortschreiben ein. “Die Hütte sei nicht genehmigungsfähig”, erzählt der 66-Jährige. 2020 sei der Abrissbescheid erfolgt. Da half auch die Beschwerde vor dem Landesverwaltungsgericht nichts, das 2023 den Bescheid bestätigte. Auch die Revision blieb ohne Erfolg, heuer müssen die Lipburgers die Hütte abreißen. Wolfgang Salzmann ärgert sich: “In dieser Hütte hängen so viel Erinnerungen und so viel Herzblut.”

Am Landesverwaltungsgericht gibt es immer wieder Fälle, in denen es um Abrissbescheide geht, erklärt Gerichtspräsident Nikolaus Brandtner den VN. “Und zwar in allen Schattierungen, von Riedhütten über Ställe, Container, sonstige Bauwerke wie Geräteschuppen und so weiter.” Da hakt auch Landesvolksanwalt Klaus Feurstein ein. “Es geht nicht nur um Riedhütte. Das Thema dieser Schwarzbauten gibt es in fast jeder Gemeinde, ob mit Riedhütten, Vorsäß, Maisäß oder umgebauten Ställen.”

Auch bei den Lipburgers geht es nicht nur um eine Hütte. Sie besitzen auch die Hütte daneben. Seit 33 Jahren stellt die Familie die zweite Hütte Jürgen Kugler zur Verfügung. Er kommt drei bis vier Mal pro Woche her, der Ort die Oase des 58-Jährigen, zur Erholung vom Alltag in der Wohnung. Er züchtet Gemüse, hat ein Tomatenhäuschen gebaut, eine Grillecke, eine liebevoll eingerichtete Hütte, einen Ofen zum Räuchern von Fleisch. Doch langsam zerfällt alles. “Das Dach hat mittlerweile Löcher”, berichtet er. Auch bei den Lipburgers nebenan ist im Garten schon länger nichts mehr getan worden. “Es rentiert sich nicht, wenn wir die Hütte eh abreißen müssen”, betont Wolfgang Salzmann.
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Mit der Zeit stapeln sich die Dokumente. Der Ordner von Wolfang Salzmann, in denen er alles sammelt, lässt sich längst nicht mehr komplett schließen. Er hat alles aufbewahrt: Die Korrespondenz mit der Gemeinde, die Beschwerden, die Bescheide. Und er fand alte Dokumente, etwa eine Urkunde mit dem Grundstück aus dem Jahr 1932. Oder ein Luftbild inklusive Gebäude aus dem Jahr 1950.

Landesvolksanwalt Feurstein kennt solche Fälle. Sie pauschal zu genehmigen, hält er aber für unklug. Das Thema sei sehr komplex. Gemeinden würden nicht umhinkommen, jeden Fall einzeln zu betrachten – wie in Lustenau. Bisher kann der Gemeindevorstand Ausnahmen für Hütten bis zu 25 Quadratmeter genehmigen – diese Ausnahmen gelten nicht für Wohnraum. Feurstein schlägt vor, dies zu ändern: Zukünftig sollen die Gemeindevertretungen größere Ausnahmen beschließen können, die auch für Wohnraum gelten.

Dann hätte auch die Hütte der Lipburgers wieder eine Chance. Derzeit sieht es aber nicht mehr danach aus. Und das würde vor allem eine Person treffen, sagt Wolfgang Salzmann. “Für meine Schwiegermutter ist es eine menschliche Tragödie.” Sie kam 1935 auf die Welt, die Hütte gehört zu ihrem Leben.

Der von der Gemeinde Lustenau geforderte Abriss schmerzt nicht nur die Herzen der Betroffenen – auch die Konten werden in Mitleidenschaft gezogen. Allein für die Verfahren waren bereits ein paar Tausend Euro fällig – ein Abriss samt Abtransport und Entsorgung kostet ebenfalls einiges. Bis jede Erinnerung planiert ist und nichts mehr bleibt. Außer Wiese.