Wallner pocht auf Regierungsbildung: “Stillstand ist jetzt fehl am Platz”

Es brauche eine handlungsfähige Bundesregierung, keinen Stillstand, keine Neuwahl, sagt Wallner im VN-Interview. Weitere Themen: Tempo 150 und das Vertrauen zur FPÖ.
Interview: Birgit Entner-Gerhold & Michael Prock
Bregenz “Bevor ich mir ein endgültiges Urteil bilden kann, müssen die Dinge auf dem Tisch liegen”, sagt Landeshauptmann Markus Wallner über die aktuellen Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene. Die FPÖ müsse proeuropäisch und konstruktiv handeln – und dafür den Beweis antreten. Stillstand sei derzeit jedenfalls fehl am Platz.
130 Tage Regierungsbildung, so lange hat es noch nie gedauert. Am Dienstagabend standen die Verhandlungen offenbar wieder auf der Kippe. Wird das noch etwas?
Markus Wallner Das wird man sehen. Ich wage derzeit keine Prognose.
Kann schon von Stillstand gesprochen werden?
Wallner Ich würde jedenfalls von einem beginnenden unhaltbaren Zustand sprechen. Stillstand ist in der jetzigen Situation fehl am Platz. In Vorarlberg haben wir zwar keinen Stillstand, aber ohne funktionsfähige Regierung im Bund sind auch wir ein Stück weit eingebremst, wie alle im Staat Österreich. Es ist höchst an der Zeit, dass es zu einer Entscheidung kommt, wie immer man dazu steht. Ich bin kritisch genug, gegenüber allem, was passieren kann. Aber die Alternativen zur Regierung sind Stillstand oder Neuwahl. Diese Alternativen sind unbrauchbar.
Also lieber Blau-Schwarz als gar keine Regierung?
Wallner Es muss in absehbarer Zeit eine handlungsfähige Regierung her. Eine Regierungsbildung ist kein persönliches Wunschprogramm, Diskussionen um Nebenschauplätze müssen beendet werden. Manche Diskussionen sind überflüssig, sie sollen sich auf das Wesentliche konzentrieren.
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Wie sehr trägt die ÖVP Verantwortung an der aktuellen Situation?
Wallner Drei Dinge haben mich gestört. Erstens die unzähligen Verhandlungsgruppen, die halte ich nicht für sehr tauglich. Zweitens, dass die Neos vom Verhandlungstisch aufgestanden sind, das habe ich nicht verstanden. Und drittens das Verhalten des Herrn Babler. Es scheiterte bei Gott nicht an einer Abgabe, es ging um sehr viele Fragen der Gesamtstaatsfinanzierung und des Wirtschaftsimpulses.
Die SPÖ erzählt, dass der ÖVP-Rückzieher bei der Bankenabgabe der Grund für das Verhandlungsende war. Jetzt, mit der FPÖ, scheint sie plötzlich kein Problem zu sein. War das kategorische Nein ein Fehler?
Wallner Die Geschichte der SPÖ ist eine Mär. Es ist an ganz anderen Dingen gescheitert. Die Bankenabgabe war ein Thema, da fehlte von Anfang an die Antwort, was man damit überhaupt will. Ich bin der Meinung, Banken können einen Beitrag leisten, wie andere auch. Die Frage ist nur, welchen Beitrag? Wenn eine Abgabe direkt zu höheren Gebühren und Kreditkosten führt, dann wäre es keine gute Idee. Wenn wir lösen, dass dies nicht geschieht, dann wären wir eher am Ziel.

Wie kann das sichergestellt werden?
Wallner Das wird jetzt gerade diskutiert. Es soll keine Abgabe zur Sanierung des Staatshaushalts werden, sondern als Beitrag zur Gesamtfinanzierung, also etwa zum Beispiel zur Finanzierung des Wohnbaus. Etwa über einen Fonds. Eine Bankenabgabe soll nicht einfach zum Stopfen der Budgetlöcher verwendet werden.
Aber in diesem Fall etwa für die Wohnbaufinanzierung?
Wallner Zum Beispiel. Ich finde nur, sie muss zweckgebundener sein. Es braucht ein Modell, wie die Abgabe sinnvoll an die Bevölkerung weitergegeben werden kann. Die Geschichte, dass die Verhandlungen an der Bankenabgabe gescheitert sind, ist jedenfalls falsch.
Zurück zu den aktuellen Verhandlungen: Was halten Sie von Tempo 150 auf den Autobahnen?
Wallner Das fällt unter die Kategorie der unbedeutenden Nebenschauplätze. Absolut überflüssig. Ich weiß nicht, was man damit bezwecken will. Auf der Rheintalautobahn hat man manchmal schon Mühe, auf 100 zu kommen. Wir brauchen eine Verkehrsbeeinflussungsanlage, die wir bis heute nicht bekommen haben. Von keiner Regierung.

Ist die Diskussion über Tempo 150 sinnlos oder der Vorschlag?
Wallner Sowohl als auch. Bitte widmet euch Dingen, die wichtig sind.
Beim ORF sind Kürzungen angesagt, unter anderem stehen FM4 und ORF3 auf der Kippe. Hören Sie FM4? Schauen Sie ORF III?
Wallner Ich höre und sehe alle ORF-Sender irgendwann. Ich bin leidenschaftlicher Ö1-Hörer. Es gibt aber mehrere Aspekte. Einerseits brauchen wir Medienvielfalt, freie Medien und einen objektiven Öffentlich-Rechtlichen. Wir wollen auch ordentliche Landesstudios haben, die regionale Berichterstattung gewährleisten. Diese Fragen kann man nicht der Willkür einer Partei aussetzen. Aber dass der ORF einen Sparbetrag leisten soll, darüber soll man reden können. Es braucht ein gesundes Maß und gleichzeitig ein klares Bekenntnis zum ORF.
Derzeit zahlen die Bürgerinnen und Bürger eine Haushaltsabgabe für den ORF. Könnte diese gestrichen werden und eine Budgetfinanzierung kommen?
Wallner Wie soll das gehen? Alles, was wir nach Brüssel gemeldet haben, beinhaltet das nicht. Die Budgetfinanzierung kann sich keiner leisten. Das halte ich für ein Fantasieprodukt.
Dass die Haushaltsabgabe gekürzt werden könnte, dafür haben Sie aber Verständnis?
Wallner Dafür habe ich Verständnis. Man kann das anschauen, muss in der Finanzierung günstiger werden. Mit den publikumsträchtigen Sendungen wie dem Bergdoktor, der Starnacht oder den Sportübertragungen zu drohen, ist keine gute Strategie.
Wo gibt es Sparpotenzial?
Wallner Querbeet. Alle müssen derzeit sparen, auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Aber ihn infrage stellen, ist falsch. Man muss zur Demokratie, zur Medienvielfalt stehen. Und natürlich auch zum ORF.

Neben der Medienpolitik ist auch die EU-Politik in den Koalitionsverhandlungen Chefsache. Wie will die ÖVP sicherstellen, dass ein Kanzler Herbert Kickl im EU-Rat Alleingänge macht und mit Viktor Orban Beschlüsse sabotiert?
Wallner Wir stehen unter Umständen am Vorabend von Zöllen, die für Europa wirtschaftlich viel bedeuten können. Wir stehen am Vorabend der Fragen, wie wir Bürokratie in Europa senken, wie die Verteidigung organisiert wird und wie die Migration weiter gesteuert werden kann. Insofern braucht es eine klare, proeuropäische Haltung Österreichs. Da nutzt uns eine billige Europahetze gar nichts. Im Bereich Verteidigung ist Skyshield ein wichtiges Thema. Ich bin kein Militärexperte, aber die Schweizer haben auch kein Problem damit.
Ist hier genug Vertrauen zur FPÖ vorhanden?
Wallner Zur Stunde nicht, da muss der Beweis angetreten werden. Bevor ich mir ein endgültiges Urteil bilden kann, müssen die Dinge auf dem Tisch liegen. Von einem künftigen Bundeskanzler möchte ich wissen, mit welcher Haltung er in Europa als Österreich eintritt.
