Kürzungen im ambulanten Bereich: “Wir haben keine Lobby, arbeiten leise daheim”

Für Brigitte Seeberger und Carola Schulnig haben die Sparmaßnahmen des Landes schwere Auswirkungen. Sie sind bereits jetzt oft auf sich allein gestellt, nun noch stärker.
Bludenz “Unsere Sorge ist, wo soll das hinführen?”, fragt Brigitte Seeberger. Sie ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern, zwei davon mit Beeinträchtigung. David etwa ist 25, er benötigt eine Eins-zu-Eins-Betreuung, er stellt hohe Anforderungen an sein Umfeld. In Gruppen ist der Autist überfordert; er kann sich nicht mitteilen, ist intellektuell auf dem Niveau eines Einjährigen. “Ich bin froh, wenn ich in der Nacht vier Stunden schlafen kann – und das seit 25 Jahren”, fasst Seeberger ihren Alltag zusammen. Ihr gegenüber sitzt Carola Schulnig, ihr Sohn Dominik ist in der Werkstätte ein Arbeitskollege von David, er kommuniziert vor allem durch die Gestik.
Sie alle haben nur Lob für die Personen, die sich ihrer Kinder annehmen. Sie alle treffen die Kürzungen des Sozialfonds sehr.
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Die Werkstätten Bludenz, Montafon und Ludesch, “Kompass Qualifizierung” und “gschickt und gschwind” haben künftig an den Fenstertagen im Mai und Juni wie auch in den Herbstferien geschlossen. Es gibt an diesen Tagen kein ambulantes Angebot. Fahrdienste sind ebenfalls betroffen, deren Ersatz sollen nun die Eltern organisieren und finanzieren.
Auf der anderen Seite Personen wie Brigitte Seeberger: Oft Alleinerziehende, die ihre Kinder sieben Tage die Woche betreuen und unterstützen. Sie leben von Teilzeitarbeit, haben parallel aufgrund der Beeinträchtigung Mehrkosten zu stemmen und in der Pension droht entsprechend die Altersarmut. Von Urlaub oder ein Abend für sich und die anderen Kinder meist keine Rede, die Bewältigung des Alltags ist vom ambulanten Angebot abhängig. “Wir sind doch die billigsten Kräfte”, verstehen sie nicht, warum gerade sie nun mit Kürzungen konfrontiert sind. Der Personalmangel in den familienentlastenden Diensten sei schon schwer genug. “Wir haben keine Lobby, sondern sind leise daheim und arbeiten”, klagen sie, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
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“Für mich ist das Ganze ein großer Rückschritt. Das hat ja mit Inklusion, mit Menschenrechten zu tun”, klagt Seeberger. Sie will es nicht einfach hinnehmen – kann es aber auch nicht. Ihre Eltern sind an die 90, Freiwillige wären mit der Betreuung von David überfordert. Und sie selbst wird nicht jünger. Und wenn dies nun erst der Anfang ist, bedeutet es vor allem eins: Ihre Söhne müssen früher und jünger in stationäre Angebote wie ein Pflegeheim. Unvorstellbar für jemanden wie David, der keine Betreuung in der Gruppe zulässt.
Weitere Kürzungen erwartet
Die Einsparungen sind nicht alles: Der Sozialfonds kürzte das Budget der Sozialinstitutionen um acht Prozent. Streichungen im stationären Bereich wurden explizit ausgeschlossen. Einsparungen im ambulanten Bereich, vor allem für Menschen mit Beeinträchtigung und Jugendliche, standen damit seit Februar an. Allein die Caritas muss 431.000 Euro einsparen. Dass dies mit den bisherigen Maßnahmen nicht getan ist, verheimlicht man nicht.
Paradigmenwechsel
“So viel wie möglich ambulant, so viel wie nötig stationär” war bislang das Motto des Landes. Die Kürzungen bedeuten jedoch, dass teure stationäre Angebote an Bedeutung gewinnen werden, da die Kürzungen den pflegenden Familien den Alltag verunmöglichen. Durch die Dauerbelastung werden sie selbst früher ausfallen, ihre Kinder müssen dann zwangsläufig in teurere Pflegeeinrichtungen.
Caritas: “Einsparungen machen keinen Sinn”
“Die Entscheidung, dass die Einsparungen bei den ambulanten und teilstationären Angeboten erfolgen müssen, ist eine Vorgabe des Sozialfonds des Landes und der Gemeinden. Fachlich gesehen ist das nicht nachvollziehbar und macht aus unserer Sicht keinen Sinn”, betont Caritasdirektor Walter Schmolly. Gerade der ambulante Bereich wäre die wirksamste Form der Inklusion und Teilhabe. Die Lebenshilfe Vorarlberg zeichnet ein ähnliches Bild und bestätigt Verärgerung und Unverständnis bei der Belegschaft und Betroffenen.
Dass mit den Kürzungen gerade Familien getroffen werden, die oft ohnehin an ihrer Belastungsgrenze agieren, sei Schmolly bewusst. Viele Familien sind derzeit noch abwartend, drei Familien haben sich jedoch mit ihren Nöten an die Caritas gewendet. “Für uns ist klar, dass wir für diese Familien in Abstimmung mit dem Land Lösungen finden müssen.”