Gewessler: “Es kann nicht sein, dass man 2000 Millionen Euro in eine Straße steckt, aber bei Familien und Kindern kürzt”

Politik / 11.05.2025 • 12:00 Uhr
Interview Leonore Gewessler
Die baldige Grünen-Chefin machte auf ihrer Tour kürzlich in Vorarlberg Station. VN/Serra

Ex-Ministerin und wahrscheinliche neue Grünen-Chefin Gewessler über S 18, Neutralität und das Budgetloch der Regierung.

Feldkirch Auf ein Bier mit Leonore. Unter diesem Titel reist die ehemalige Ministerin Leonore Gewessler durch Österreich. Sie will bekanntlich neue Chefin der Grünen werden. Jetzt machte sie in Vorarlberg Station. Im VN-Interview spricht sie über Ziele der Tour, erklärt, wie es um das Neutralitätsverständnis der Grünen steht und kritisiert die neue Regierung.

Sie reisen gerade durch Österreich, um die grüne Basis von Ihrer Kandidatur als Parteichefin zu überzeugen. Glauben Sie wirklich, dass da noch etwas schiefgehen kann?

Gewessler Ich fahre durch Österreich, weil es mir um das Zuhören – innerhalb wie außerhalb der Partei geht. In den letzten Jahren in der Regierung waren wir alle ein bisschen im Tunnel.Da ist das Zuhören etwas zu kurz gekommen. Die Welt schaut gerade ziemlich arg aus, man hat das Gefühl, sie ist aus den Fugen geraten. Gerade deshalb heißt es stärker darauf hören, was die Menschen von uns erwarten.

Sollte diese Beschreibung nicht auch auf Ministerinnen zutreffen?

Gewessler Ja klar, das sage ich auch durchaus selbstkritisch. Regieren ist ein ziemlicher Tunnel, indem das, was eigentlich sehr wichtig ist, manchmal zu kurz kommt.

Interview Leonore Gewessler
Gewessler: “ie Diskussion ärgert mich aber, weil sie nicht ehrlich und nicht richtig ist. Wir haben in die Zukunft, in den Klimaschutz investiert und die Menschen unterstützt. Und jetzt kürzt die neue Regierung genau dort rein.” VN/Serra

Die neue Regierung muss ein riesiges Finanzloch stopfen. Haben Sie als Vorgängerregierung zu viel Geld ausgegeben, wie die Nachfolger jetzt sagen?

Gewessler Ich verstehe schon, dass man irgendwo einen Schuldigen sucht, wenn man ein Kürzungsbudget präsentiert. Die Diskussion ärgert mich aber, weil sie nicht ehrlich und nicht richtig ist. Wir haben in die Zukunft, in den Klimaschutz investiert und die Menschen unterstützt. Und jetzt kürzt die neue Regierung genau dort rein. Wir sehen einen Abrissbagger beim Klimaschutz und bei den Sozialausgaben. Wir kürzen bei den Kindern, wollen aber weiterhin Milliarden in den Straßenbau investieren und knicken vor Digitalkonzernen ein.

War jede Förderung nötig? Etwa jene für Klappräder oder die Steuererleichterung für Elektroautos, die sich im Privatbereich nur Gutverdienende leisten können?

Gewessler Dass man Förderungen evaluiert, gehört zur ganz normalen Regierungsarbeit. Aber was passiert jetzt? Wir erhöhen die Steuern auf E-Autos und senken gleichzeitig die Steuer auf fossile Verbrenner, auf Pickup-Trucks. Wir hatten das Prinzip: Wer Klimaschutz macht, soll unterstützt werden. Und jetzt passiert das Gegenteil. Die, die das Klima schützen, sind die Dummen.

Die Grünen sind aus den Regierungen in den Ländern und im Bund geflogen. Die neuen Regierungen unterschiedlicher Konstellationen forcieren wieder Straßenprojekte, die sie stoppen wollten. Hat Ihr Widerstand etwa bei der S 18 gar nichts gebracht, außer Verzögerungen und damit Verteuerungen?

Gewessler Ich bin jetzt 47 Jahre alt und das Projekt der S 18 ist älter als ich. Wenn ich lese, dass in 15 Jahren der Bau beginnen soll, dann gehört da schon Mut dazu, so etwas zu sagen. Es gibt sicher auch solche Zitate aus den 1960er-Jahren. Es ist Zeit, dass wir uns von diesen fossilen Retro-Projekten verabschieden. Es kann nicht sein, dass man 2000 Millionen Euro in eine Straße steckt, aber bei Familien und Kindern kürzt.

Sie meinen damit wahrscheinlich das Aus der Valorisierung der Familienbeihilfe. Die Anpassung wurde ja von Ihrer Regierung eingeführt. Am Ende geht es im Durchschnitt um eine Nicht-Erhöhung von 4,20 Euro pro Monat. Ist das nicht verkraftbar?

Gewessler Wenn der Bus für den Schulausflug oder die Jause für das Kind teurer werden, ist es adäquat, auch die Familienleistungen daran anzupassen.

Interview Leonore Gewessler
Gewessler: “as heißt es für die Grünen als Friedenspartei, wenn wir Krieg in Europa haben? Da muss klar sein: Frieden ist nicht Unterwerfung.” VN/Serra

Wird es mit Ihnen als Chefin inhaltliche Änderungen der Grünen geben?

Gewessler Wir leben in einer Welt, die uns jeden Tag aufs Neue fordert. Und das heißt, dass auch wir Grünen teilweise neue Antworten geben müssen. In der Wirtschaftspolitik oder etwa in der Sicherheitspolitik. Was heißt es für die Grünen als Friedenspartei, wenn wir Krieg in Europa haben? Da muss klar sein: Frieden ist nicht Unterwerfung.

Wie positionieren sich die Grünen als Friedenspartei im Gaza-Krieg?

Gewessler Werner Kogler hat das in der Vergangenheit schon oft formuliert. Wir haben als Österreich eine besondere historische Verantwortung gegenüber Israel. Die werden wir auch wahrnehmen und ernst nehmen. Der  aktuelle Auslöser war ein bestialischer, terroristischer Akt, der Überfall der Hamas auf Israel. Trotzdem muss man auch benennen, dass es im Krieg keine Regellosigkeit gibt, humanitäre Hilfe muss möglich sein.

Sollte Österreich die Ukraine stärker unterstützen?

Gewessler Wir haben in der Vergangenheit vorangetrieben, dass Österreich genau das macht. Nämlich, mit den für ein neutrales Land zur Verfügung stehenden Mitteln die Ukraine zu unterstützen. Neutralität bedeutet nicht, dass man blind vor der Tatsache ist, wer der Aggressor ist, wer völkerrechtswidrig ein anderes Land überfallt.

Interview Leonore Gewessler
Gewessler: ” Warum Verteidigung wichtig ist, sehen wir gerade in der Ukraine. Deswegen gab es auch bei uns in der letzten Legislaturperiode manchen Paradigmenwechsel, etwa mit Sky Shield oder den Investitionen ins Bundesheer.” VN/Serra

Ist die Neutralität aufgrund der veränderten Sicherheitslage in Österreich überhaupt noch zeitgemäß?

Gewessler Als neutrales Land muss man sich auch verteidigen können. Warum Verteidigung wichtig ist, sehen wir gerade in der Ukraine. Deswegen gab es auch bei uns in der letzten Legislaturperiode manchen Paradigmenwechsel, etwa mit Sky Shield oder den Investitionen ins Bundesheer.

Soll auch über die Neutralität zumindest diskutiert werden?

Gewessler Die Grünen sind als Friedenspartei gegründet worden und werden eine Friedenspartei bleiben. Frieden ist in einem Europa, in dem ein Aggressor ein anderes Land überfallt, nicht mehr selbstverständlich. Das heißt auch, dass wir uns damit beschäftigen müssen, was es in dieser veränderten Weltlage von den Grünen braucht.

Und da wollen Sie auch über die Neutralität nachdenken?

Gewessler Die Neutralität bleibt der Rahmen, der es ermöglicht, eine proaktive Rolle zu spielen. Aber ja, wir werden uns damit wie wir uns in diesem Rahmen bewegen auch innerhalb der Partei intensiv beschäftigen müssen.

Interview Leonore Gewessler
Gewessler: “Ich habe das Privileg, dass mir jede meiner bisherigen Stationen im Berufsleben große Freude gebracht hat. Das gilt auch für meine Zeit jetzt in der Politik.” VN/Serra

Vermissen Sie manchmal ihren früheren Beruf außerhalb des öffentlichen Rampenlichts?

Gewessler Ich habe das Privileg, dass mir jede meiner bisherigen Stationen im Berufsleben große Freude gebracht hat. Das gilt auch für meine Zeit jetzt in der Politik. Ich habe mir den Schritt gut überlegt. Ich habe die Möglichkeit bekommen, mitzuhelfen, dass die Welt von morgen vielleicht doch ein guter Ort wird. Darum kandidiere ich auch jetzt als Bundessprecherin.

Interview Leonore Gewessler
Leonore Gewessler traf sich mit den VN zum Interview in der Jahnhalle in Feldkirch, bevor es “auf ein Bier mit Leonore” nach Rankweil weiterging. VN/Serra

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