Warum auch Vorarlberg richtig lüften muss

Politik / 11.05.2025 • 08:00 Uhr
Feature Herbst Nebek Blick vom Pfänder auf das Rheintal
Blick vom Pfänder auf das Rheintal: Zwar handelt es sich um Nebel. Doch auch de kühlende Luft fließt über die Berge in das Rheintal. Werden diese Kaltluftschneisen unterbrochen, heizen sich die Siedlungsgebiete im Sommer noch mehr auf. VN

Wie werden künftig Gebäude stehen und welche Grünzonen bewahren wir: Die wissenschaftlichen Daten für Quartiersentwicklungen liegen vor.

In den Sozialen Medien war es plötzlich ein Trend: Auf Instagram oder Tiktok priesen Menschen aus den USA die Vorteile von Lüften. Was in Österreich fester Bestandteil des Alltags ist, gilt nun dort als Wellnesstrend zur Verbesserung des Raumklimas und des allgemeinen Wohlbefindens. Mag man hierzulande darüber schmunzeln, gibt es auch in Vorarlberg zum Teil Nachholbedarf beim Thema Lüften. Und zwar im großen Maßstab: Zu oft sind besiedelte Gebiete so verbaut, dass die kühle Frischluft nicht mehr ungehindert durchfließen kann. Im Zuge der Klimawandelanpassung wird das jedoch immer wichtiger.

“In Zukunft werden wir vier bis zehn zusätzliche Hitzetage haben. Es wird daher wesentlich sein, dass Kaltluftleitbahnen ungehinderter in die Siedlungen fließen können”, sagt Raumplanerin Andrea Weninger, Geschäftsführerin bei Rosinak&Partner. In wenigen Wochen wird das auch für viele Vorarlberger wieder relevant. In der Hitze des Sommers fiebern viele den Abendstunden entgegen, wenn die Luft etwas abkühlt und die Wohnräume mit weniger warmer, frischer Luft versorgt. Doch immer häufiger bleibt diese Linderung aus.

Dipl.-Ing. Andrea Weninger, Verkehrsplanerin
Raumplanerin Andrea Weninger ist Geschäftsführerin bei Rosinak&Partner.

Präzise Maßnahmen durch Datenerhebung

Architektur und Raumplanung werden noch einmal an Bedeutung gewinnen. Denn es liegt ein umfangreiches Datenmaterial vor, wo die Kaltluft fließt, wo sie behindert wird. Dadurch sind präzise Gegenmaßnahmen möglich. Dass diese Daten in größeren Quartiersentwicklungen berücksichtigt werden können, ist neu. Die Grundlage liefert das länderübergreifende “Agglomerationsprogramm Rheintal”, im Rahmen dessen eine Klimaanalyse für das St. Galler und das Vorarlberger Rheintal in Auftrag gegeben wurde. “Die 23 Gemeinden haben sich dazu entschieden, aus den Daten eine Strategie zur Klimawandelanpassung mit Fokus auf Hitze zu erarbeiten”, sagt Weininger. Rosinak & Partner erstellte auf Basis von Modelldaten von Meteotest die Hinweiskarte und Empfehlungen.

Jetzt gibt es Planungskarten für den Tag und die Nacht. “Damit wird ermittelt, in welchen Siedlungsgebieten es an einem Hitzetag einen großen Temperaturunterschied zum Umland gibt.” Weninger zeigt auf eine Vorarlbergkarte, auf der die Luftströme durch Pfeile eingezeichnet sind: “Man könnte künftig vor allem an den Siedlungsrändern beachten, wie man neue Gebäude stellt und wie hoch sie sind, damit die Leitbahnen nicht gestört werden und optimal Kaltluft einbringen können”, sagt sie.

Auch Freiräume gewinnen zunehmend an Bedeutung. Am Tag sind sie für die Abkühlung der Bewohnerinnen und Bewohner und die Erholung wichtig, in der Nacht bringen sie die kühle Luft in die bebauten Gebiete.  Bei starker Versiegelung des Bodens läuft zudem Niederschlagswasser an den wasserundurchlässigen Oberflächen schnell ab und steht nicht mehr für kühlende Verdunstungsvorgänge zur Verfügung. Auch hier kann ein begrünter Freiraum und entsiegelter Straßenraum Linderung verschaffen.

Agglomeration Rheintal

Die “Agglomeration Rheintal”, bestehend aus dem Land Vorarlberg, dem Kanton St. Gallen sowie insgesamt 23 Gemeinden auf beiden Seiten des Rheins, erhält aus Mitteln des Schweizer Bundes bis 2028 eine Kofinanzierung für Verkehrsmaßnahmen, zum Beispiel Radwege, Verbesserungen für den Fußgänger und den öffentlichen Verkehr. Oft werden die Schweizer Mittel für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen wie Radverbindungen eingesetzt – eine wichtige finanzielle Unterstützung für die Gemeinden.

Vulnerable Gruppen schützen

Nicht nur die Luftströme, auch Hitzecluster und Bereiche, in denen viele Menschen über 65 Jahre leben, lassen sich durch diese Klimaanalysen identifizieren. Diese Altersgruppe hat häufiger gesundheitliche Nachteile durch die Hitze und braucht daher erhöhten Schutz. Es kann zudem erkannt werden, ob Krankenhäuser oder Pflegeheime in Hitzebereichen liegen und ob zusätzliche Beschattungsmaßnahmen, Bäume oder Grünräume umgesetzt werden sollten. Die Klimakrise ist vor allem auch eine soziale Frage und trifft nicht nur alte Menschen, sondern auch Menschen auf kleinem, engem Wohnraum.

In Zeiten, in denen Flächen immer umkämpfter werden, können Planungshinweiskarten politische Entscheidungen unterstützen. So gibt es unbebaute Flächen, die gleichzeitig eine hohe Bodengüte haben und für die Landwirtschaft besonders bedeutend sind. “Ernährungssicherheit wird in Zeiten des Klimawandels und globaler Krisen immer relevanter”, betont Weninger und ergänzt: “In der Regel ist es gut, wenn man autark ist – sowohl bei Energie als auch Ernährung. Daher ist es wichtig, diese Flächen zu bewahren, denn die bekommt man auch nicht mehr zurück.” In Kombination mit Kaltluftschneisen ergeben sich somit gleich zwei Vorteile für die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger.

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