Eine Schachtel öffnet die Geschichte

„Twana’s Box“, herausgegeben vom Bregenzer Lukas Birk, erhält internationalen Preis.
Arles Manchmal beginnt Geschichte in einer Schachtel. So jedenfalls bei „Twana’s Box“, dem Fotobuch des jungen kurdischen Fotografen Rawsht Twana. Es wurde 2025 beim Festival Rencontres d’Arles mit dem Historical Book Award ausgezeichnet. Was als private Spurensuche beginnt, entfaltet sich hier zu einem künstlerischen, politischen und persönlichen Requiem für einen Vater, eine Region und eine verdrängte Geschichte.

Im Zentrum steht Twana Abdullah, der Vater des Fotografen, der zwischen 1974 und 1992 den kurdischen Teil des Irak dokumentierte. Seine Fotografien – teils auf Film gebannt, teils in Notizen festgehalten – zeigen den Alltag einer Region, die zwischen Repression, Hoffnung und Widerstand lebte. Kurz nach der Geburt seines Sohnes fiel Abdullah einem Militärregime zum Opfer. Was blieb, war ein kaum geordnetes Archiv, das Rawsht Twana Jahre später öffnete und das Fundament für sein eigenes künstlerisches Werk legte. „Twana’s Box“ ist somit weit mehr als eine biografische Erinnerung. Es ist ein visuelles Zeugnis einer Gesellschaft im Wandel und ein Stück Zeitgeschichte, das im westlichen Diskurs kaum Beachtung fand. Die Fotografien zeigen Männer bei der Feldarbeit, Frauen im Festgewand, Kinderblicke und Gesten der Fürsorge – Momente, die an der Schwelle zur Auslöschung standen und durch die Kamera nun ins kulturelle Gedächtnis zurückkehren.

Die Arbeit an dem Buch war für Rawsht Twana eine doppelte Aneignung: Er rekonstruierte die Bilder seines Vaters und zugleich die eigene Identität als Fotograf. Nach ersten Arbeiten für Metrography, die erste unabhängige Fotoagentur im Irak, emigrierte Twana nach Europa. Die Fotografie wurde ihm dabei zum Medium zwischen Herkunft und Gegenwart, zwischen Verlust und Zeugenschaft. Im Geleitwort des kurdischen Autors Baktyar Ali heißt es: „Dieses Archiv öffnet für uns eine Tür, durch die wir in eine kaum bekannte Geschichte eintreten können, über die Historiker nur selten schreiben. Ein Foto ist immer eine Einladung, über die Momente nachzudenken, die sich vor der Kamera abspielten …”

Herausgegeben wurde das Buch von Lukas Birk, einem 1982 in Bregenz geborenen Fotografen, Künstler und Verleger. Birk erhielt 2021 den Kulturpreis Vorarlberg in der Sparte Fotografie und gründete 2007 den Verlag Fraglich Publishing. Er ist bekannt für seine dokumentarischen Projekte in Krisenregionen wie Myanmar, Afghanistan oder Pakistan, bei denen er stets nach vergessenen Bildwelten sucht. Mit „Twana’s Box“ setzt er diese Arbeit fort: als Foto-Archäologe, der Geschichte nicht erzählt, sondern sichtbar macht.

Die Bücher seines Verlags entstehen bewusst vor Ort, mit lokalem Vertrieb und angepassten Preisen – ein Prinzip, das auch in Myanmar angewandt wird und die Fotobuchszene dort unterstützt. „Twana’s Box” folgt dieser Philosophie: Es ist ein Buch gegen das Vergessen, entstanden aus einer Schachtel voller Fragmente, das für seine Fähigkeit ausgezeichnet wurde, aus diesen Fragmenten ein poetisches Ganzes zu formen.