Die Sinnlichkeit liegt irgendwo dazwischen

Die Tiroler Medienkünstlerin Nicole Weniger stellt im Bildraum Bodensee aus.
Bregenz Die 1987 in Innsbruck geborene Tiroler Medienkünstlerin gehört zu jenen künstlerischen Stimmen, die sich seit Jahren konsequent mit den Fragen nach Identität, Zugehörigkeit, Erinnerung und räumlicher Verortung auseinandersetzen. Ihre Arbeiten entstehen im Spannungsfeld zwischen Fotografie, performativen Interventionen, Installationen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen. Im Zentrum steht dabei stets die Beziehung zwischen Mensch und Raum, also wie der Ort das Subjekt prägt und wie das Subjekt den Ort neu einschreibt. Mit der Ausstellung „Die Sinnlichkeit liegt irgendwo dazwischen“, die im Bildraum Bodensee gezeigt wird, verdichtet Weniger ihre langjährige künstlerische Forschung zu einer atmosphärischen Schau, die Zwischenräume, Fragilität und Erinnerung in poetische Bilder übersetzt.

Im Zentrum der Ausstellung steht die seit 2019 entwickelte Serie Homes, in der Weniger provisorische Behausungen an unwirtlichen Orten errichtet – aus Zelten, Wäscheleinen oder Autoteilen. Diese improvisierten Architekturen tragen den Charakter von Schutzräumen in sich, bleiben aber bewusst unbewohnt. Sie wirken wie Erinnerungen an ein „Wir“, das längst weitergezogen ist, wie Spuren vergangener Gemeinschaft, die sich ins Gelände eingeschrieben haben und nun als leere Hüllen verharren. Die Künstlerin nutzt diese hybriden Gebilde, um Projektionen zu eröffnen. Sie sind weder eindeutig real noch gänzlich imaginär. Sie laden dazu ein, kollektive wie persönliche Erinnerungen in sie einzuschreiben.

Die Serie wird durch fotografische und installative Arbeiten ergänzt, die Weniger in Landschaften aufgenommen hat, die vom Verschwinden erzählen: in Gletschern, in der Atacama-Wüste und in Zonen ökologischer Ausbeutung. In diesen Bildern treten die Spuren menschlichen Handelns in einen Dialog mit den sichtbaren Wunden der Natur. Besonders eindrucksvoll ist die Serie „Desire”, in der aus Ton und Alpakakot gebrannte Zungen aus dem Boden ragen. Es sind stille, skulpturale Zeichen, die Begehren, Irritation und Ekel zugleich evozieren. Es sind fragile Setzungen, die an tastende Gesten erinnern und Fragen nach Sinnlichkeit und Körperlichkeit in extremen Räumen aufwerfen.

Ein wiederkehrendes Element in Wenigers Arbeit ist das Textile. Mal erscheinen Stoffe als Hülle, mal als Spur oder Überrest, kulturell aufgeladen und zugleich offen für neue Zuschreibungen. In der Arbeit „A place where secrets have been told” verwandeln sich Pflanzenüberwinterungszelte in fragile Schutzräume, die sich still in die Landschaft einfügen. Sie wirken wie Antennen oder Fühler, die auf Empfang gestellt sind und bereit sind, geheime Geschichten aus der Umgebung aufzunehmen. Die Künstlerin verhandelt darin die Topografie nicht nur äußerer, sondern auch innerer Landschaften, in denen Erinnerungen sedimentieren und Emotionen materialisieren. Wenigers Arbeiten entfalten sich über reduzierte Setzungen, die große assoziative Räume eröffnen. Sie oszillieren zwischen Intimität und Distanz, zwischen Oberfläche und Tiefe, zwischen Begehren und Abwehr. Diese Schwebezustände machen den Reiz ihrer Kunst aus. Nichts ist endgültig, alles bleibt in Bewegung und ist offen für neue Bedeutungen. Gerade darin liegt die titelgebende „Sinnlichkeit“, die sich nicht im Offensichtlichen, sondern in den Zwischenräumen, im Dazwischen, im Noch-nicht-Definierten entfaltet.

Nicole Weniger studierte Transmediale Kunst bei Brigitte Kowanz und Kunst & Kommunikative Praxis bei Barbara Putz-Plecko an der Universität für angewandte Kunst Wien. Mit der Ausstellung „Die Sinnlichkeit liegt irgendwo dazwischen“ gelingt es ihr, all diese künstlerischen Stränge zu bündeln. Die Ausstellung zeigt, wie Erinnerung, Raum und Körperlichkeit unauflöslich miteinander verflochten sind. Sie öffnet Resonanzräume, in denen sich die Grenze zwischen Sichtbarem und Erinnertem auflöst. Wenigers Werke fordern keine eindeutigen Antworten ein, sondern laden die Besucherinnen und Besucher ein, sich auf ein Terrain einzulassen, in dem Fragilität und Sinnlichkeit, Irritation und Schönheit untrennbar miteinander verbunden sind.
Nicole Weniger
Die Sinnlichkeit liegt irgendwo dazwischen
Führung mit der Künstlerin:
Samstag, 13. September 14 Uhr
Ausstellungsdauer bis 4. Oktober 2025
Bildraum Bodensee | Seestraße 5, Bregenz
Di, Do: 13-18 Uhr | Fr, Sa: 11-16 Uhr