Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Kommentar: Der Vizekanzler und das Festspielpublikum

Kultur / 18.07.2025 • 12:30 Uhr

Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Und dass ich mit meiner Meinung eher allein sein würde. Ja, es gab heftige Diskussionen, und ich blieb in der Minderheit.

Nach der Eröffnung der Bregenzer Festspiele am vergangenen Mittwoch wurde – wie erwartet – Alexander Van der Bellen mit Lob überschüttet. Zu Recht, natürlich. Der Bundespräsident ist ein hervorragender Redner, seine Rhetorik geschliffen, seine Sätze ruhig, präzise, oft kokett selbstreflexiv, nie aufgeregt. „Wir leben in interessanten Zeiten“, sagte er, und verwies auf technologische Umbrüche, geopolitische Spannungen und den Wert der Kunst. Das war pragmatisch, staatsmännisch, angemessen. Dass er dabei sogar die mangelnde österreichische Einbindung in die westlichen Verteidigungsstrukturen streifte, ging übrigens unter. Es war eine gute Rede. Aber es war nicht die mutigste.

Doch da war auch noch Andreas Babler.

Er sagte nicht, was manche erwartet oder befürchtet hatten: keine explizite Forderung nach Besteuerung der Reichen, keine Kampfansagen. Aber er sagte auch nicht das, was viele gerne gehört hätten: Kultur als Elixier, Bühne als Brücke, Kunst als Trostspender im globalen Sturm. Stattdessen sprach er über soziale Gerechtigkeit. Darüber, dass ein ATX-Vorstand das gut 80-Fache seines durchschnittlichen Mitarbeiters verdiene. Darüber, dass „viele in Armut leben“. Und dass „in jedem Menschen ein ganzes Universum steckt – voller Träume, Sorgen und Wünsche“. Ein wirklich schöner Satz. Einer, den man nicht einfach weglächeln sollte.

War das zu viel? War das der falsche Ort? Sollte ein Kulturminister und Vizekanzler nicht so reden – am Bodensee, vor einem sichtbar privilegierten Festspielpublikum? Man kann das so sehen. Ich sehe es anders.

Denn es ist eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen ein Politiker mit einer Rede durchdringt. Zwei Millionen Kontakte, angeblich. In den elektronischen Medien, im Netz, auf Papier. Wann, wenn nicht da, darf – ja muss – ein Kulturminister über mehr sprechen als über Festspielbudgets und Subventionen? Über Verteilung, über Chancenungleichheit, über das Recht, gehört zu werden – nicht nur in Konzertsälen, sondern im Leben.

Man kann Babler vieles vorwerfen, und ich habe das hier und anderswo wiederholt getan. Dass er im ökonomischen Raum gefährlich fantasiert. Dass ihm in Migrationsfragen der Realitätssinn fehlt. Dass er mit Pathos spielt. Dass er regelmäßig ins Predigerhafte kippt. Dass er ein Reizthema zuspitzt, wo Pragmatismus Not täte. Aber dass er in Bregenz das Falsche sagte – das kann ich nicht erkennen.

Im Gegenteil. Ich finde, dass man sich nicht verleugnen darf und als Chef einer sozialdemokratischen Partei – gerade weil sie Regierungsverantwortung trägt – sogar die Pflicht hat, an diesem Ort genau das zu sagen, ob das Publikum es hören will oder nicht. Weil seine Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse wahr und bedauernswert ist. Weil Kultur nicht nur Kulisse ist, sondern auch Resonanzraum. Und weil Kunst dann politisch wird, wenn sie auf diese gesellschaftlichen Verhältnisse trifft.

Babler erinnerte an den „radikalen Gedanken“, auf dem unsere Republik gründet: dass jede und jeder zählt. Das ist nicht links. Das ist demokratisch. Und ja, das ist unbequem. Vor allem dort, wo Menschen sitzen, die es sich – wie auch ich – leisten können, die große Bühne von weichen Fauteuils aus zu sehen. Aber unbequem heißt nicht unangebracht.

Ich weiß, viele sehen das anders. Vielleicht auch Sie. Schreiben Sie mir ruhig! Ich bin gespannt.