Das verschollene Tagebuch des Will Quadflieg

Quadfliegs Tochter hat das unbekannte Tagebuch im Nachlass ihrer Mutter entdeckt.
Berlin Alles liegt in Trümmern in jenem Sommer vor 80 Jahren. Deutschlands Diktator hat sich umgebracht, das sogenannte Dritte Reich hat kapituliert nach einem Weltkrieg mit Abermillionen Toten. Die entsetzten Sieger zeigen Bilder von Befreiten aus den NS-Lagern. Hunderttausende Entwurzelte irren durchs Land der Ruinen. Und mitten in diesen Wirren: der berühmte Schauspieler Will Quadflieg auf der Suche nach einem Neuanfang. Neues kündigt sich an, in vielerlei Weise, und es ist kaum in wenige Worte zu fassen”, schreibt Quadflieg am 8. Juli 1945 in sein Tagebuch. “Es wird wohl hier mitten im äußerlichen Zusammenbruch die neue Arbeit beginnen mit dem deutschen Herzdrama: Faust. Ich werde zunächst den Mephisto spielen.” Beschrieben wird eine Lesereise in den letzten Kriegstagen – und der scheinbar bruchlose Übergang in die Zeit danach. Die Tochter nutzt die Vorlage für einen späten Dialog mit ihrem 2003 gestorbenen Vater. In ihrem Buch “Ich will lieber schweigen” stellt die 75-jährige Autorin die großen Fragen. Wie macht man nach einer solchen Katastrophe weiter? Wo beginnt Opportunismus? Und was hätte ich getan?
Will Quadflieg ist am Kriegsende Anfang 30. Seine große Zeit kommt erst noch. Ab Ende der 40er Jahre spielt er in Hamburg, Zürich oder Wien Goethe, Schiller, Shakespeare. In den 50er Jahren ist er “Jedermann” in Salzburg. Er macht Filme, spricht Schallplatten ein, tritt im Fernsehkrimi “Der Kommissar” auf und später im Mehrteiler “Der große Bellheim”. Begonnen aber hat seine Karriere in der Nazi-Zeit. “Er war einer der aufsteigenden Jungstars”, sagt der Historiker Johannes Hürter vom Münchner Institut für Zeitgeschichte. Will Quadflieg spricht über die NS-Zeit später selbstkritisch. “Ich musste nicht emigrieren, ich wurde nicht verfolgt, sondern gefördert”, sagt er einmal. Und auch dies: “Ich gehöre auch dazu, auch ich bin ein Mitläufer gewesen.” Diese Selbstreflexion, das schlechte Gewissen, sei für Künstler in der Nachkriegszeit ungewöhnlich gewesen, sagt Hürter. Roswitha Quadflieg hinterfragt diese Reue. Klar ist in der Familie, dass der Vater “kein Nazi” war. Das sagt Roswitha Quadflieg bis heute: “Der hat ja nicht gesagt: “Hitler war super und das war alles toll.”” Nach eigenem Verständnis war er unpolitisch, ein Künstler, der allen Umständen zum Trotz seinen Beruf ausüben will. Wie viele andere sieht er Deutschland nach den Bombardements und der Zerstörung als Opfer der Alliierten. “Die armen Deutschen”, das sei auch die Haltung ihres Vaters gewesen, sagt Roswitha Quadflieg. Als Künstler empfand sich Will Quadflieg nach ihrer Einschätzung als “Vertreter der Guten”, auf der Seite von deutscher Sprache, Dichtung und Denken. 80 Jahre nach jenem ersten Nachkriegssommer will die Tochter auch nicht Besserwisserin sein und ihren Vater aus heutiger Situation anklagen. Sie selbst sei ja auch nicht politisch engagiert, obwohl nicht klar sei, wo jetzt alles hinsteuere.