“Tierseuchen stehen vor der Tür” – Tierärzte warnen vor Bedrohung

Tierverkehr, Transporte, Reisen und Klimawandel würden zu Verbreitung beitragen. Nachwuchsmangel bleibe großes Problem.
Rankweil Zum ersten Mal ist die Konferenz der Spitzen der österreichischen Tierärztekammer in Vorarlberg über die Bühne gegangen. Dabei standen vor allem die Themen Tierseuchen und Prävention auf dem Programm. Die VN trafen Präsident Kurt Frühwirth und den Chef der Vorarlberger Landesstelle, Robert Griss, zum Interview.
Vorarlberg kämpft immer wieder mit der Rindertuberkulose. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?
Robert Griss Anfang des Jahres musste der gesamte Bestand eines Betriebes im Bregenzerwald gekeult werden, 107 Tiere. Mehrere Ställe wurden gesperrt. Das bedeutet einen enormen wirtschaftlichen Verlust für die betroffenen Landwirte. Die nächste Untersuchungsperiode beginnt nun im November, Dezember. Es ist bemerkenswert, dass Vorarlberg das einzige Bundesland ist, das so schwer von TBC betroffen ist. Tirol hat im Lechtal ein Problem – weil es Ansteckungen auf Vorarlberger Alpen gab.
Wie kann man die Situation in den Griff bekommen?
Griss Es ist sicher auch ein Problem der Jagd. Man muss die Rotwildbestände dezimieren. Da gibt es mehrere Ansätze. Die Schweiz hat ein komplettes Wildfütterungsverbot. Darüber kann man in Vorarlberg nicht einmal diskutieren.

Bei Seuchenausbrüchen kommt es oft zur Keulung der Tiere. Gibt es keine anderweitigen Präventionsmöglichkeiten?
Kurt Frühwirth 2025 war ein besonderes Jahr für Österreich, was Tierseuchen betrifft. Es gab die Bedrohung durch die Maul- und Klauenseuche in Ungarn und der Slowakei. Die Lumpy-Skin-Disease steht im Fokus, die Blauzungenkrankheit trat letztes Jahr erstmals in Vorarlberg auf. Es ist besonders wichtig, dass man aufmerksam bleibt und Präventionsmaßnahmen trifft. Es gibt behördliche und europäische Vorgaben, Tiere, die bestimmte Erreger in sich tragen oder daran erkranken, zu töten. Das nennen wir keulen. Impfprävention kann aber ein probates Mittel sein, um die Folgen einzudämmen oder zu reduzieren, also Erkrankungen zu verhindern oder zu milden. Es ist besser, vorzusorgen, gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Gesellschaft ganz genau darauf schaut, wie mit Tieren umgegangen wird, ob Tiere möglicherweise gesund getötet werden müssen, weil es eine behördliche Entscheidung gibt. Auf europäischer Ebene sollte man die Tötungspolitik überdenken.

Sie sprachen die hochansteckende Maul- und Klauenseuche (MKS) an. Es gab weitreichende Schutzmaßnahmen. Wie blicken Sie darauf zurück?
Frühwirth Die Ausbrüche wurden eingedämmt. Doch Seuchen stehen vor der Tür, wenn auch über eine größere Distanz. Ob das die Tollwut ist, MKS, die Afrikanische Schweinepest. Wir sind umgeben von vielen Ländern, die alle mit diesen Seuchen kämpfen. Wir stehen in Österreich aufgrund der Seuchenpolitik und Präventionsmaßnahmen noch relativ gut da. Aber es gibt Tierverkehr, Transporte, globale Reisen. Viren verbreiten sich innerhalb kürzester Zeit. Was man auch sieht: Bei den vektorübertragenden Erkrankungen – das heißt, dass es einen Zwischenwirt braucht, etwa eine stechende Mücke, die Viren überträgt – sehen wir eine Entwicklung, die vor 15, 20 Jahren im Süden vorgeherrscht hat. Das Ganze wandert sehr stark in unsere klimatischen Regionen ein. Das wird uns in der Zukunft intensiv beschäftigen.
Wie gut ist Vorarlberg vorbereitet, zum Beispiel auf MKS?
Griss Nach meiner Information gibt es Katastrophenpläne, die aber älter sind. Leider gibt es nicht so eine gute Zusammenarbeit mit den Behörden, wie etwa im Burgenland, die das mit der Maul- und Klauenseuche durch Ungarn hautnah erlebt haben.
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Ein anderes Thema ist die Nachwuchssuche: Kann man im Nutztierbereich bereits von einem Mangel an Tierärztinnen und Tierärzten sprechen?
Frühwirth In Vorarlberg auf jeden Fall. Aber auch in anderen Ländern. Das ist nicht ein herbeigeredeter Nachwuchsmangel. Wir prognostizieren das seit einigen Jahren. Die Reaktionen der Politik lassen noch auf sich warten.
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Welche Schritte müssen gesetzt werden?
Frühwirth Wir brauchen wesentlich mehr Tierärztinnen und Tierärzte, insbesondere Tierärztinnen. Unser Beruf ist weiblich. Wir haben mindestens 80 Prozent Studentinnen an der Veterinärmedizinischen Universität. Sie werden künftig zunehmend in Teilzeit oder Kooperationen arbeiten. Diesen Tierarzt, der 24/7, 365 Tage tätig ist, den wird es nicht mehr geben. Um eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung, einen Wochendienst und eine Notdienstversorgung sicherzustellen, braucht es einfach mehr Köpfe. Etwa in Praxiskooperationen oder bei Zusammenschlüssen.
Griss Es gibt viele Aspekte, auch das Thema Selbstständigkeit. Die Absolventen von der Universität möchten immer öfter die Sicherheit eines Angestellten haben. Aber in der Nutztierpraxis sind angestellte Tierärzte immer noch ein Novum. Das ist natürlich auch eine finanzielle Frage. Dazu kommt der gesellschaftliche Wandel, Work-Life-Balance, geregelte Arbeitszeiten, Freizeit. Familienplanung ist ein Thema. Da ändern sich viele Dinge.
Frühwirth Auch der Bürokratieaufwand ist enorm geworden. Damit steigt auch nicht die Motivation, in die Selbstständigkeit zu gehen. Es muss eine gewisse Leichtigkeit der Berufsausübung wieder möglich sein. Wenn man zum Notar oder Dokumentationsassistenten des Landwirts oder Tierhalters wird, dann macht es keinen Spaß. Wir haben Veterinärmedizin studiert, um Tieren zu helfen.

In Vorarlberg gab es Vorwürfe, dass Landwirte illegal Tiermedikamente aus Deutschland bezogen haben. Ist das ein Problem aller grenznahen Bundesländer?
Frühwirth Ich würde meinen, ja. Grenzen bringen ein Problem mit sich, wenn die Regularien auf der anderen Seite anders sind. Es gibt wirtschaftliche Unterschiede, die Medikamentenpreise sind verschieden. Wir fragen uns immer wieder, warum es denn zugelassen wird, dass deutsche Kolleginnen und Kollegen nach Österreich kommen, dort ihre wirtschaftliche Tätigkeit betreiben und beim Antibiotika-Monitoring, bei Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten nicht derselben Kontrolle unterworfen sind.
Wie äußert sich das dann konkret?
Frühwirth Der Landwirt holt aus dem grenznahen Bereich aus Deutschland einen Tierarzt, dieser dokumentiert für sich, fährt aber wieder heim. Der österreichische Tierarzt muss dokumentieren, an die Behörde melden, dann sind die Mengen zu erfassen, und, und, und. Da sind wir wieder beim Aufwand. Man agiert mit ungleichen Mitteln und Kontrollbedingungen: Der Landwirt hat offiziell keine Antibiotika eingesetzt, da diese alle in Deutschland dokumentiert werden, nicht aber in Österreich. Ja, grenzüberschreitende Tätigkeit gibt es, wir haben Dienstleistungsfreiheit. Aber die Spielregeln müssen für alle gleich sein. Sonst gibt es Verwerfungen im grenznahen Bereich.