Leichtfried: “Die Radikalisierung im Kinderzimmer beginnt inzwischen mit zehn“

Politik / 28.11.2025 • 13:41 Uhr
Leichtfried: "Die Radikalisierung im Kinderzimmer beginnt inzwischen mit zehn“
Staatssekretär Jörg Leichtfried berichtet im Interview mit den Vorarlberger Nachrichten über die Sicherheitslage in Österreich. Philipp Steurer

Staatssekretär Jörg Leichtfried erachtet Altersbeschränkungen für Social Media als sinnvoll.

Michael Prock, Julia Schilly-Polozani

Schwarzach “Robuste Maßnahmen im Westen haben Spione nach Österreich verdrängt”, sagt Jörg Leichtfried (SPÖ), Staatssekretär für Staatsschutz und Nachrichtendienste, im VN-Interview. Aktuell führt die Regierung Gespräche bezüglich höherer Strafen und Ausweitung des Spionagebegriffs. Denn auch wirtschaftlich wird Spionage zunehmend zu einem Problem, auch in Vorarlberg. Das Kopftuchverbot für Mädchen und junge Frauen bis 14 Jahre verteidigt er.

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Wie sicher ist Österreich denn derzeit?

Leichtfried Das Sicherheitsbild in Österreich hat sich in den letzten Jahren massiv geändert. Das Neue ist unter anderem vermehrt staatlich organisierte Desinformation und Spionage gegen uns. Da geht es um Extremismus, insbesondere islamistischen und rechtsextremen.

Auch die Kriegsführung hat sich verändert, Stichwort Drohnenangriffe. Vieles passiert mittlerweile virtuell. Erleben auch wir Angriffe?

Leichtfried Wir sind nicht derart massiv konfrontiert wie die Nato-Staaten, aber erleben diese Angriffe auch – Hacking beispielsweise oder Desinformation. Es wird versucht, das Meinungsbild in Österreich zu beeinflussen.

Sind Strafgesetz und der Nachrichtendienst die richtigen Ansatzpunkte, um in diesem Bereich tätig zu sein? Oder sollte man die Gesellschaft nicht mündiger machen, um dann selbst im Rahmen der freien Meinungsäußerung entscheiden zu können?

Leichtfried: "Die Radikalisierung im Kinderzimmer beginnt inzwischen mit zehn“
Leichtfried: “Die Einführung von Altersgrenzen für Social-Media-Plattformen ist meines Erachtens eine sehr gute Idee. Das ist übrigens erstmals von einer grünen Abgeordneten aus Vorarlberg geäußert worden.” VN/Steurer

Leichtfried Prävention ist die beste Waffe gegen diese Entwicklungen. Es geht auch darum, wie wir unsere Kinder schützen. Die Radikalisierung im Kinderzimmer beginnt inzwischen bei zehn, elf, zwölf Jahren teilweise. Man muss auch überlegen, was man gegen diese Algorithmen machen kann. Die jungen Menschen werden massiv beeinflusst, radikalisiert und sogar zu Terrorakten gebracht. Die Einführung von Altersgrenzen für Social-Media-Plattformen ist meines Erachtens eine sehr gute Idee. Das ist übrigens erstmals von einer grünen Abgeordneten aus Vorarlberg geäußert worden.

Warum muss man Jugendlichen verbieten, auf Social Media tätig zu sein?

Leichtfried Das ist ja der österreichischen Rechtsordnung nicht fremd. Es gibt im Jugendschutzbereich unzählige Vorschriften, die entsprechend einer gewissen Alterskategorie Dinge erlauben oder nicht erlauben. Junge Menschen sind von ihrer Persönlichkeitsentwicklung her anders strukturiert als Erwachsene und leichter beeinflussbar. Im Bereich Online-Radikalisierung verdoppeln sich die Zahlen beinahe jedes Jahr, aus dieser Online-Radikalisierung folgen auch konkrete Taten. Der DSN ist es gelungen, in den letzten zwei Jahren neun Terroranschläge zu verhindern.

Reicht ein Verbot?

Leichtfried Wir sind mit dieser Thematik nicht allein. In dieser Woche hat es im Europäischen Parlament in Straßburg einen Beschluss gegeben für Social-Media-Verbot bis 16 und andere absolute Verbote bis 13. Australien hat es eingeführt, Luxemburg hat es eingeführt, in Frankreich wird es gerade eingeführt, Dänemark möchte es einführen.

Ein weiteres Regelwerk, das Sie für Jugendliche gerade in der Bundesregierung präsentiert haben, ist das Kopftuchverbot an Schulen für Mädchen unter 14. Warum braucht es das?

Leichtfried Wenn man über Grundrechte diskutiert, ist es immer wieder der Fall, dass es hier gegensätzliche Interessen gibt. Und in dem Fall, meine ich, ist das Interesse von jungen Mädchen, nicht unter vielfältigen Druck stehen zu müssen, ein Kopftuch aufzusetzen, das wesentliche Argument. Die Situation, wie wir sie derzeit haben, ist, dass sehr, sehr viele Mädchen unfreiwillig diese Kopftücher tragen. Und meines Erachtens ist es da an der Zeit, dass der Staat, die Republik, auch gewisse Freiräume schafft.

Leichtfried: "Die Radikalisierung im Kinderzimmer beginnt inzwischen mit zehn“
ILeichtfried: “In dem Fall, meine ich, ist das Interesse von jungen Mädchen, nicht unter vielfältigen Druck stehen zu müssen, ein Kopftuch aufzusetzen, das wesentliche Argument.” VN/Steurer

SOS-Mitmensch und Verein Amazone haben es als nicht zielführend bezeichnet, das Kopftuch zu verbieten.

Leichtfried Diese Regelung schließt Prävention ja nicht aus. Im Gegenteil, sie ist umso wichtiger, um insgesamt ein frei bestimmtes Leben ermöglichen zu können. Man sollte da mehr zusammen als gegeneinander denken.

Wie kann man sich die Umsetzung in der Praxis vorstellen?

Leichtfried Das beginnt jetzt mit einer Vorbereitungsphase, wo es um Aufklärung geht. Es ist auf jeden Fall ein Zeichen, dass die Republik sagt, hier werden Mädchen in ihrer Freiheit beschränkt und wir akzeptieren das nicht.

Warum wird das Verbot diesmal vor dem Verfassungsgerichtshof halten?

Leichtfried Ich bin selbst Jurist und weiß, vor Gericht und auf hoher See kann man sich nie sicher sein, was passieren wird. Aber meines Erachtens sind die Bedenken, die aus dem Begutachtungsverfahren gekommen sind, gut eingebaut. Insbesondere das, was der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt angeregt hat. Und deshalb bin ich doch recht zuversichtlich.

In Vorarlberg gab es gerade den Fall, dass wieder zwei Unternehmen Opfer von Cyberattacken wurden. Gab es auch schon staatliche Eingriffe?

Leichtfried Es gibt diese kriminell motivierten Hackerangriffe, die hauptsächlich daran orientiert sind, gewissen Geldgewinn zu erzielen. Und es gibt Spionage, die sich insbesondere gegen Hightech-Betriebe richtet, wo es ja in Vorarlberg doch viele gibt, mit dem Ziel, unsere innovativen Produktionen besser ausforschen zu können. Da gibt es Schätzungen für ganz Österreich, dass diese Form der Wirtschaftsspionage jährlich fast 10 Milliarden Euro Schaden verursacht für unsere Volkswirtschaft. Wir wollen die Gesetzgebung im Bereich Spionage verschärfen, weil das schon am Ende eine Gefahr für unsere nationale Sicherheit und für unsere Lebensweise ist. Es laufen derzeit Gespräche, wie es zum Beispiel zu höheren Strafen oder zur Ausweitung des Spionagebegriffs kommen könnte.

Leichtfried: "Die Radikalisierung im Kinderzimmer beginnt inzwischen mit zehn“
Leichtfried: “Wir haben jährlich österreichweit im islamistischen Extremismus im Schnitt um die 200 Hausdurchsuchungen, im Rechtsextremismus mehr als 600.” VN/Steurer

Ist Wien wieder zum Hotspot geworden, wie es schon mal im Kalten Krieg war? Hat Wien ein Spionageproblem?

Leichtfried Nicht Wien ausschließlich. Aber durch sehr robuste Maßnahmen in Westeuropa, also insbesondere in Großbritannien, Frankreich und Deutschland, kam es zu einer gewissen Verdrängung nach Österreich, in die Schweiz, nach Belgien.

Wie sieht es im Bereich Rechtsextremismus aus?

Leichtfried Konkrete Zahlen: Wir haben jährlich österreichweit im islamistischen Extremismus im Schnitt um die 200 Hausdurchsuchungen, im Rechtsextremismus mehr als 600. Und das spiegelt auch wieder die Entwicklung generell. Es gibt bei beiden massive Steigerungen.

Vorarlberg war viele Jahre lang ein Hotspot im europäischen Rechtsextremismus, wie hat sich die Lage in Vorarlberg in den letzten Jahren entwickelt?

Leichtfried Ja, soweit ich das weiß, ist es bei bereits länger bestehenden rechten Gruppierungen etwas unauffälliger geworden, aber es gibt natürlich beide Phänomene noch, insbesondere im Grenzbereich.

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VN

Ist der Antisemitismus in Österreich in den letzten Jahren wirklich zum Problem geworden?

Leichtfried Die Zahlen zeigen, dass die Vorfälle massiv gestiegen sind. Da sind wir auch sehr wachsam. Die Republik Österreich akzeptiert keinerlei Form von Antisemitismus.