Schulpflichtig, aber nicht schulreif: Besonders viele Vorschulkinder in Vorarlberg

Studienautor bezeichnet Konzept in Österreich als nicht mehr zeitgemäß, Schuldirektor hebt aber auch Vorteile hervor.
wolfurt Nicht alle Kinder können direkt mit der ersten Klasse Volksschule starten. Manche kommen in die Vorschule. Wie viele das sind, hat in hohem Maß damit zu tun, in welchem Bundesland sie leben. In Vorarlberg ist der Anteil besonders hoch, wie eine Studie des Instituts für Höhere Studien IHS aufzeigt. Das IHS kommt zu einem kritischen Urteil. Für Volksschuldirektor Burkhard Reis kann die Vorschule aber auch Vorteile haben. Es komme darauf an, wie sie umgesetzt wird. Möglich sind eigene Klassen oder eine integrierte Variante. An der Volksschule Mähdle in Wolfurt handelt es sich um Letzteres, ein stufenübergreifendes Modell. “So ergibt sich ein langer Beobachtungszeitraum, der Wechsel in die erste Klasse ist unkompliziert und man kann gut auf die Kinder eingehen.”
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Nur in Salzburg mehr
In Mario Steiners Analyse, die in der “Österreichischen Zeitschrift für Soziologie” erschienen ist, sind die Anteile von Vorschulkindern in den Bundesländern Thema. Der Autor erläutert auf VN-Anfrage: “Faktum ist, dass in Vorarlberg überproportional viele Kinder die Vorschule besuchen.” Der Wert lag 2022/2023 bei 16,9 Prozent und damit an zweiter Stelle hinter Salzburg (25,8 Prozent). Dem Experten zufolge lässt sich das nicht mit einem überdurchschnittlichen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund erklären, das zeige sich schon am Vergleich zu Wien, das einen niedrigeren Wert aufweist. Zudem sollten mangelnde Sprachkenntnisse kein Grund für die Vorschule sein. Möglich sei, dass in Vorarlberg strenger und selektiver vorgegangen wird, wenn es um die Einschätzung der Schulreife geht.

Laut Schulpflichtgesetz steht die Frage im Mittelpunkt, ob das schulpflichtige Kind dem Unterricht in der ersten Klasse Volksschule folgen kann, “ohne körperlich oder geistig überfordert zu werden.” Ein Kriterium ist etwa die kognitive Reife, um Lesen, Schreiben, und Rechnen zu lernen.
Stufenwechsel möglich
Rund 150 Kinder besuchen die Volksschule Mähdle. Jährlich gibt es am Standort 40 bis 45 neue Schülerinnen und Schüler, etwa sechs sind Vorschulkinder. Dieser Wert sei jedes Jahr ähnlich, erklärt Direktor Reis. Diese Kinder werden nicht in einer eigenen Klasse unterrichtet, sondern im integrativen, jahrgangsübergreifenden Modell. Das bedeutet, dass sie regulär in der ersten Klasse sitzen, aber an zwei Tagen Blöcke mit einem speziellen Vorschulunterricht haben. Sollte sich herausstellen, dass ein Kind doch besser in die erste Klasse passt, ist auch ein Stufenwechsel während des Jahres möglich. “Das ist unkompliziert, es ist nur ein Konferenzbeschluss und das Einverständnis der Eltern notwendig.”
Es gibt Ermessensspielraum, betont Reis. “Bei einem Gespräch vor Schuleintritt sagen manche Eltern von sich aus, dass es ein Thema wäre, dass das Kind etwas mehr Zeit braucht.” Danach komme es zu einem Schulreifescreening, bei dem die festgelegten Kriterien abgeprüft werden. Der Schuldirektor spricht auch mit den Kindergartenpädagogen, bevor die Entscheidung fällt. “Bisher war das immer einvernehmlich im Sinne der Kinder. Konflikte mit Eltern gab es bei uns noch nie.”

Für die IHS-Studie betrachtete Steiner, wie sich rund 83.500 Kinder, die 2006/2007 in die Schule eingetreten sind, entwickelt haben. Es zeigte sich ein Zusammenhang zwischen Vorschulbesuch und einer weniger erfolgreichen Bildungslaufbahn. Auf die Frage, ob Vorschulen noch zeitgemäß sind, antwortet der Wissenschaftler: “Nicht zeitgemäß ist vor allem das in Österreich angewandte Konzept der Schulreife als einmalige Überprüfung, die über die weitere Bildungslaufbahn entscheidet.” Die eigene Schulform, in den meisten Fällen als separate Klassen umgesetzt, laufe der Integration zuwider. “An diesem Modell ist zudem nicht zeitgemäß, dass mit dem Vorschulbesuch ein Laufbahnverlust verbunden ist.”
Reis will reine Vorschulklassen nicht kritisieren, da er diese nicht aus der Praxis kennt. Die integrative Variante sei aber flexibel und in einer mittelgroßen Schule ein bewährtes Modell. “Es bringt den Kindern Zeit und eröffnet einen flexiblen Handlungsspielraum.”