Expertin über Lebensmittel-Kennzeichnung der modernen Gentechnik: “Aus wissenschaftlicher Sicht macht sie keinen Sinn”

Politik / HEUTE • 11:12 Uhr
Expertin über Lebensmittel-Kennzeichnung der modernen Gentechnik: "Aus wissenschaftlicher Sicht macht sie keinen Sinn"
Auch bei Kartoffeln kann die Genschere zum Einsatz kommen. APA

Ortrun Mittelsten Scheid von der ÖAW setzt große Hoffnungen in die Lebensmittelproduktion mit der Genschere.

Schwarzach Die Gentechnik hat in Österreich keinen einfachen Stand. Zu sehen derzeit an der Diskussion um die Kennzeichnungspflicht von mit modernen Gentechnikverfahren veränderten Lebensmitteln. Kaum einigen sich die EU-Institutionen darauf, die Kennzeichnungspflicht zum Teil auszusetzen, hagelt es Kritik. Und das, obwohl die Wissenschaft zur Ruhe mahnt. Gentechnik-Expertin Ortrun Mittelsten Scheid hofft auf ein Umdenken.

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Die neuen Regeln betreffen “Neue genomische Techniken” (NGT). Dabei geht es um gentechnische Eingriffe durch die “Gen-Schere” Crispr-Cas. Lebensmittel, die damit verändert werden, sollen künftig leichter zugelassen und müssen im Supermarkt nicht mehr extra ausgewiesen werden – nur das Saatgut muss es. Expertin Mittelsten Scheid von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erläutert: “Wir betreiben seit 10.000 Jahren Pflanzenzüchtung. Unsere Vorfahren haben angefangen, Pflanzen mit guten Eigenschaften auszusuchen und zu vermehren.” Im vergangenen Jahrhundert habe man entdeckt, dass sich dieser Effekt etwa durch Bestrahlung massiv beschleunigen lässt. “Das hat zu einer grünen Revolution geführt, wo man in kurzer Zeit viele ertragreichere Pflanzen gezüchtet hat.” Dabei wird ein DNA-Strang an einer Stelle gebrochen, die Zelle repariert die Stelle. So kann der Strang verändert werden. Bei einer Bestrahlung entstehen viele Brüche, bei der Reparatur zufällig einige gute Mutationen.

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Mit der Genschere kann dieser Bruch nun zielgenau herbeigeführt werden, erklärt Ortrun Mittelsten Scheid. “Die Mutation wird beschleunigt und präzisiert. Das Ergebnis ist das gleiche, nämlich eine veränderte DNA-Sequenz. Deswegen macht eine Kennzeichnung aus wissenschaftlicher Sicht keinen Sinn.”

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Ortrun Mittelsten Scheid: “Das Ergebnis ist das gleiche, nämlich eine veränderte DNA-Sequenz.” ÖAW

Anders sehen es verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGO). Etwa die Organisation Global 2000, die davor warnt, dass die Biolandwirtschaft um ihre Existenz bangen müsse. Gerade die Biolandwirtschaft müsse jedoch für das neue Verfahren sein, entgegnet Ortrun Mittelsten Scheid. Schließlich möchte der Biolandbau Pestizide reduzieren, höhere Erträge auf kleineren Flächen erwirtschaften und den Boden erhalten. “Das sind alles die Ziele, die auch die moderne Pflanzenzüchtung hat.”

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Greenpeace warnte davor, dass die NGT-Pflanzen als Erfindung gelten und patentiert werden können. Die Saatgutkonzerne könnten damit ihre Marktmacht ausbauen. Auch dies sieht Mittelsten Scheid anders. “Die Patentfrage kann erst dann gelöst werden, wenn es die generelle Möglichkeit gibt, die Pflanzen anzubauen. Bisher sind Zulassungsverfahren aufwendig und teuer, nur wenige große Konzerne können sie sich leisten. Mit der neuen Technik können auch kleine regionale Züchtungsbetriebe für lokal relevante Produkte Änderungen herstellen, die für große Konzerne nicht interessant sind.” Und von diesen Pflanzen gebe es viele. Die Expertin zählt auf: “Vom mehltauresistenten Weizen und Weizen mit weniger Allergenen, über trockenresistente Tomaten bis zu Bananen, die leichter transportiert werden können. Es gibt Möglichkeiten beim Reis, der Gerste, Kartoffeln, Zitrusfrüchten, Raps …”

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Auch die Politik ist skeptisch. Agrarlandesrat Christian Gantner sprach von einer Mogelpackung, auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig äußerte sich ablehnend. Landeshauptmann Markus Wallner warnte kürzlich im Landtag vor der “Einführung der Gentechnik durch die Hintertür.” Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger sieht hingegen eine Chance für klimafittere und widerstandsfähige Pflanzen. Am wichtigsten sei, dass die Produkte sicher sind. Expertin Mittelsten Scheid beruhigt: Natürlich seien sie das. Und andere Arten der Gentechnik bleiben stark reguliert.

In anderen Weltregionen ist das Genscheren-Verfahren längst normal. Nun müssen noch die Staaten und das Parlament zustimmen, was allerdings als Formsache gilt.