Ein Weltkonzern mit Reformbedarf

Für Mehrerauer Abt wäre viel gewonnen, wenn der neue Papst das Konzil umsetzt.
Bregenz. (VN-tm) Abt Anselm van der Linde vom Zisterzienserkloster Wettingen-Mehrerau, der sich am ehesten einen südamerikanischen Papst gewünscht hat, sieht die katholische Kirche an einem historischen Wendepunkt. Ein revidiertes Menschenbild und die Reform der Kurie zählt er zu den dringlichsten Problemen, die den neuen Papst erwarten.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte kommen auf den neuen Papst zu?
Abt Anselm: Es sind viele. Und es ist schwierig, weil die Themen je nach Kontinent unterschiedlich gewichtet werden. Was Menschen in Europa bewegt, ist nicht zwingend das Gleiche, was Afrikaner bewegt.
Zum Beispiel?
Abt Anselm: Europa hat eine anthropologische Entwicklung durchgemacht, die woanders nicht so verlief. Es zählt zu den schwierigsten Herausforderungen der Kirche, dass sie die Entwicklung des Menschen seit dem II. Vatikanischen Konzil ernst nimmt. Darüber hinaus ist es grundsätzlich sehr wichtig, dass in der Kirche eine Demokratisierung Platz greift. Es ist doch sehr seltsam, dass Klöster und Diözesen auf lokaler Ebene viel demokratischer und transparenter sind als der Heilige Stuhl.
Beides zusammen erfordert eine Annäherung an die Welt.
Abt Anselm: Für Menschen, die innerhalb der Kirche Führungspositionen einnehmen, war das stets ein negativ behaftetes Wort: Annäherung an die Welt. Aber wenn wir die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils lesen, dann war es genau das. Das Konzil wollte, dass die Kirche die Welt annimmt mit all ihren Seiten. Nur so kann man die Botschaft Jesu Christi in die Welt bringen.
Es bräuchte also gar kein drittes Konzil?
Abt Anselm: Ich glaube, ein drittes Konzil ist nicht nötig, weil die Dokumente des zweiten noch gar nicht richtig umgesetzt wurden. Dieser Prozess ist oft blockiert worden von Stellen in Rom bzw. faktisch außer Kraft gesetzt. Denken wir nur an das Prinzip der Kollegialität. Heutzutage ist es fast ausgestorben. Der Bischof hat nur noch das zu tun, was Rom sagt, und nicht mehr. Das ist eines der Grundprobleme des Heiligen Stuhls. Vatileaks usw. – das ist gewiss alles sehr spannend und fantasievoll. Ich war lange genug in Rom, um die Intrigen zu kennen. Aber Intrigen gibt es überall. Auch bei einer Firma oder in der Landesregierung. Es wäre grundsätzlich für die Kirche so wichtig, offener miteinander umzugehen. Es ist doch unvorstellbar, dass ein Weltkonzern wie die Kirche in der obersten Etage keinen wöchentlichen Austausch der verschiedenen Sektionen pflegt.
Damit fordern Sie auch eine andere Qualität der Personalentscheidungen.
Abt Anselm: Dass einer Kurienkardinal wird, nur weil er Rom-treu ist, das kann es nicht sein. Eines der ersten schwierigen Themen des neuen Papstes muss eine gründliche Reform der römischen Kurie sein. Leider sind alle Päpste des 20. Jahrhunderts daran gescheitert.