„Viele sterben auf dem Weg hierher“

Spezial / 14.06.2013 • 19:39 Uhr

Politologe Schmidinger über die Notwendigkeit, syrischen Flüchtlingen zu helfen.

Wien. Der Politologe Thomas Schmidinger reiste im vergangenen Winter nach Syrien und wurde Zeuge von den prekären Verhältnissen im Land.

Was haben Sie in Syrien erlebt?

Schmidinger: Ich besuchte Syrisch-Kurdistan. Im Winter lebte rund eine halbe Million Flüchtlinge dort. Mittlerweile könnten es mehr sein.

Wie ist die Versorgungslage für die Flüchtlinge?

Schmidinger: Es ist schwierig, weil die Flüchtlinge in Syrisch-Kurdistan von einer ohnehin mangelhaft versorgten Bevölkerung durchgefüttert werden. Die Nahrungsmittelsituation wird immer schlechter. Dauert der Bürgerkrieg noch länger, dann wird es im nächsten Winter prekär. Die Vorräte werden aufgebraucht sein.

Sind in den Gebieten, die Sie in Syrien besucht haben, auch Hilfsorganisationen tätig?

Schmidinger: Der Kurdische Rote Halbmond und lokale Initiativen sind aktiv. Internationale Organisationen nicht.

Wie schätzen Sie die Situation in den Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten ein?

Schmidinger: Die Flüchtlinge, die es über die Grenze geschafft haben, sind im Vergleich zu den intern Vertriebenen noch relativ privilegiert. Ich habe das Flüchtlingslager in Irakisch-Kurdistan besucht. Die Kurdische Regionalregierung versorgt dort die Flüchtlinge ausreichend. Es gibt Nahrungsmittel, medizinische Versorgung und Schulbildung.

Es ist immer wieder von Gewalt in den Lagern die Rede.

Schmidinger: In der Türkei handelt es sich oft um Auseinandersetzungen mit der lokalen Bevölkerung. In der Grenzstadt Antakya zum Beispiel zählt die Mehrheit der Bevölkerung zu den arabisch-sprachigen Alawiten (Anm.: wie der syrische Machthaber Baschar al-Assad). Daher gibt es oft wechselseitig Vorwürfe von den Flüchtlingen und von der Bevölkerung.

Wie viele Flüchtlinge können die Nachbarstaaten Syriens noch aufnehmen?

Schmidinger: Die türkische, irakische und die jordanische Regierung sind zunehmend überfordert. Je länger der Bürgerkrieg dauert, desto schwieriger wird es auch für sie, die Leute zu versorgen.

Die Situation scheint im Libanon noch schlimmer zu sein.

Schmidinger: Palästinensische Flüchtlinge aus Syrien sind mittlerweile zu Tausenden in die ohnehin schon desolaten palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon geflohen. Internationale Hilfe gibt es hier kaum. Greift der Bürgerkrieg auf den Libanon über, so droht die größte humanitäre Katastrophe in der gesamten Region.

Was können EU-Staaten tun?

Schmidinger: Wenn der Bürgerkrieg noch länger dauert, dann ist auch Europa gefragt, endlich Flüchtlinge aufzunehmen. Ich persönlich kenne einige Syrer, die unter großen Gefahren mit Schleppern nach Europa gekommen sind. Viele der Flüchtlinge sterben auf dem Weg hierher. Das kann nicht die europäische Antwort auf den Konflikt sein.

Was sollte die Antwort sein?

Schmidinger: Wenn man die Staaten in der Region mit dem Flüchtlingsproblem alleine lässt, dann riskiert man eine weitere Destabilisierung. Die EU muss daher Flüchtlinge aufnehmen: nicht eine symbolische, sondern eine große Anzahl.

Wenn man sie mit dem Flüchtlingsproblem alleine lässt, riskiert man eine weitere Destabilisierung.

Thomas Schmidinger