Für angeklagte Richterin ist nun alles wieder offen

Kornelia Ratz mit ernster Miene beim Betreten des Gerichtssaals. Bei der Urteilsverkündung war sie nicht mehr dabei.
OGH hob einzelne Schuldsprüche auf. Auch der Fall Ratz muss neu verhandelt werden.
Wien. Für die einen kam es wie erwartet, für die anderen war es eine absolute Überraschung: Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat gestern die Urteile gegen die sechs Beschuldigten in der Testamentsaffäre teilweise aufgehoben und an das Erstgericht in Salzburg zurück verwiesen. Zur Gänze aufgehoben wurde das Urteil gegen die suspendierte Landesgerichts-Vizepräsidentin Kornelia Ratz. Sie war erstinstanzlich wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch schuldig gesprochen worden. „Ich bin sehr erleichtert, und meine Mandantin sicher auch“, sagte Verteidiger Bertram Grass, der die angeklagte Richterin per SMS über den Prozessausgang informierte. Ratz selbst war zur Urteilsverkündung nämlich nicht mehr im Verhandlungssaal erschienen.
Feststellungsmängel
Von der höchstgerichtlichen Aufhebung sind ausschließlich Schuldsprüche wegen Amtsmissbrauchs betroffen, wie der Senatsvorsitzende Kurt Kirchbacher betonte. Im Ersturteil hätten sich diesbezüglich Feststellungsmängel gefunden. Das Erstgericht habe sich bei einzelnen Fakten zu wenig mit der inneren Tatseite und der Frage auseinandergesetzt, inwieweit diese auf einen vorsätzlichen Befugnismissbrauch gerichtet waren, erklärte Kirchbacher. In anderen Punkten wiederum müsse geklärt werden, ob es überhaupt zu einem konkreten Befugnismissbrauch gekommen war. Insgesamt vermisst der fünfköpfige Senat „konkrete, tragfähige und ausreichende Feststellungen“ für eine Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs, betonte der Vorsitzende.
Noch einmal spannend könnte es deshalb in der Causa Mutschler werden, jenem brisanten Fall, in den Richterin Ratz involviert ist. In diesem Faktum wurden gestern die Gerichtsbediensteten Jürgen H., Clemens M. und Kurt T. rechtskräftig vom Amtsmissbrauch freigesprochen. Was die Vorwürfe gegen Ratz betreffe, so sei nun alles wieder offen, sagen Insider: ein Freispruch oder eine Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs oder schweren Betrugs. Einen Freispruch hatte Ratz gestern in ihrem letzten Wort vehement gefordert: „Ich bin ein Opfer von Spekulationen geworden“, erklärte die Richterin. Die erstgerichtlichen Feststellungen seien „spekulativer Natur“. An den Senat appellierte sie: „Bitte, korrigieren Sie die erstinstanzliche Entscheidung. Machen Sie nicht die Tür für Willkür auf.“
Für Clemens M. ist’s vorbei
Rechtskräftig sind seit gestern hingegen alle Schuldsprüche, die Betrugs- oder Urkundendelikte betreffen. Gegessen ist der langwierige Prozess für den ehemaligen Außerstreit-Rechtspfleger
Clemens M.. Mit viel Engagement, aber erfolglos hat dessen Anwalt, Burkhard Hirn, gestern erneut einen Freispruch gefordert. Am Ende war M. der einzige Beschuldigte, der mit einem komplett rechtskräftigen Urteil nach Hause ging. Sein Strafmaß haben die Höchstrichter weder verringert noch erhöht. Es bleibt bei drei Jahren Haft, zwölf Monate davon muss er absitzen.
Es geht weiter
Für alle anderen Angeklagten geht der Prozess weiter. So trug der OGH dem Landesgericht Salzburg nun auf, „Tatsachengrundlagen“ zu schaffen, um in den unklaren Anklagepunkten endgültig beurteilen zu können, ob und wer von den Justiz-Bediensteten allenfalls einen Amtsmissbrauch begangen oder im Sinn einer Beteiligungs-Täterschaft mitgewirkt hatte.
Der mehrbändige Strafakt mit seinen Zehntausenden Seiten geht damit ein weiteres Mal auf die Reise. In Salzburg wird sich ein neuer Richter in den komplexen Fall um die Testamentsfälschungen am Bezirksgericht Dornbirn einlesen müssen. Bis wann der Prozess gegen die fünf Beschuldigten wiederholt wird, lässt sich heute noch nicht sagen. Sicher ist jedoch, dass es ein ganzes Weilchen dauern wird, bis die Urteile des 2009 aufgeflogenen Kriminalfalls tatsächlich rechtskräftig sein werden.
Ich bin ein Opfer von Spekulationen geworden.
Kornelia Ratz, Angeklagte
Zu einigen erstinstanzlichen Schuldsprüchen fehlen konkrete, tragfähige Feststellungen.
Kurt Kirchbacher, Richter

Sanjay Doshi, Rechtsanwalt Das Höchstgericht ist der Stellungnahme der Generalprokuratur zu hundert Prozent gefolgt. Das ist keine erfreuliche Sache für mich als Privatbeteiligten-Vertreter.

Kornelia Ratz im Gespräch mit ihrem Ehemann.

Heinz Bildstein, Präsident des Landesgerichts Feldkirch Ich nehme die heutige Entscheidung mit dem einem Höchstgericht gebührenden Respekt zur Kenntnis. Schon aufgrund meiner mangelnden Aktenkenntnis verbietet sich jeder Kommentar dazu.

Yvonne Summer, Vorsteherin des Bezirksgerichts Dornbirn Es steht mir nicht zu, das Urteil des Obersten Gerichtshofes zu kommentieren. Natürlich wäre es für unser Gericht angenehm, wenn der Fall endlich einmal abgeschlossen wäre.

Auch die Privatbeteiligten-Vertreter und der Generalanwalt nahmen Stellung.

Für die Höchstrichter war der gestrige Fall Routine. Fotos: Herbert Pfarrhofer

Gernot Hämmerle, ORF-Redakteur Ich habe zwar gehofft, dass das Urteil aus erster Instanz hält. Andererseits: Es ist nachvollziehbar, dass der OGH einige Punkte dieses Urteils korrigiert. Jetzt gibt es eine Fortsetzung.

Peter H. und Clemens M. (r.). Nur für Letzteren ist das Ganze jetzt ausgestanden.

Helmut Hagen, Geschädigter Für mich als Betroffenen ist nicht erklärbar, dass man den Prozess heute nicht zu Ende gebracht hat. Jetzt zieht sich die Causa wieder in die Länge. Und die Kosten werden steigen.

Markus Wallner, Landeshauptmann Vorarlberg Ich bin nicht berechtigt, eine Gerichtsentscheidung zu bewerten. Abgesehen davon, dass es sich um ein laufendes Verfahren handelt. Natürlich wird mich die Begründung interessieren.

Der Vorsitzende des Senats: Kurt Kirchbacher.

Klaus Grubhofer und Peter Cardona (r.): Einsatz für ihre Mandanten auch beim Höchstgericht.

Anwälte unter sich: Nicolas Stieger, Burkhard Hirn und Bertram Grass unmittelbar vor der Verhandlung.