Erdogans Kurdenkrieg hat jetzt eine neue Dimension

Spezial / 18.02.2016 • 22:34 Uhr

Mit dem Vernichtungskrieg gegen die Kurden ruft die Türkei selbst Geister der Gewalt.

Ankara. Von der Hauptstadt Ankara und dem südöstlichen Lice bis zu einem türkischen Kulturverein in Stockholm eskalieren seit Mittwoch die Bombenanschläge in der Türkei und ihrer Diaspora. Präsident Tayyip Erdogan und seine Organe lassen mit Schuldzuweisungen an kurdische Separatisten nicht auf sich warten. Zwar waren Explosionen durch von Selbstmordattentätern gesteuerte Autos und fern gezündete Sprengkörper bisher eine Spezialität islamistischer Terroristen und nicht der Kurden. Die verschiedenen nahöstlichen Untergrundkämpfer tauschen aber ihre Techniken aus. Das hat die Übernahme des ursprünglich schiitischen Bombenterrors durch radikale Sunniten wie den Islamischen Staat (IS) gezeigt. Der jetzige Hinweis auf kurdische Attentäter dürfte daher doch mehr als eine Propagandalüge sein.

Eines aber ist schon gewiss: Ankara hat diese Eskalation der Bombenanschläge selbst provoziert. Sein nach einer Periode der Entspannung mutwillig vom Zaun gebrochener Vernichtungskrieg gegen alles Kurdische auf seinem Territorium, und über dieses hinaus, schreit geradezu nach Vergeltung.

Bisher zielt die neue Dimension dieses Sprengstoffkrieges direkt aufs türkische Militär. In den kurdischen Städten Anatoliens von Diyabakir bis Cizre werden hingegen bei der „Säuberung“ ganzer Viertel nicht nur PKK-Kämpfer, sondern wahllos Zivilisten, Frauen, Kinder und Alte umgebracht.

Die tagelange Abriegelung durch das Heer und die besonders gefürchteten Binnentruppen „Jandarma“ verhindert jede medizinische Versorgung der zahlreichen Verletzten, lassen Milch für die Kleinsten und sogar Wasser ausgehen. Beobachter bekommen grausige Szenen vor Augen, wie sie nur mehr aus Dokumentarfilmen von der Niedermachung des Warschauer Ghettos erinnerlich sind.

Die gefährliche Entwicklung in der Türkei geht inzwischen weit über regionale Bedrohung hinaus. Jene Menschenmassen, die vom Bosporus nach Donau, Rhein und Elbe unterwegs sind, tragen die Unrast im Orient mitten ins Herz von Europa. Inzwischen hat sich die deutsche Kanzlerin Ursula Merkel voll auf die Seite Ankaras gestellt. Sie will den Migrantenansturm zusammen mit der Türkei nicht erst in Griechenland oder am Balkan in den Griff bekommen, sondern an seiner Wurzel bei den über zwei Millionen Heimatlosen in türkischen Lagern anpacken.

Großtürkische Machtpläne

Das wäre sicher der richtige Ansatz, wenn die EU in Erdogan und Davutoglu ebenso verständige wie anständige Partner hätte. Stattdessen heizen sie das Flüchtlingsproblem an, um es geradezu erpresserisch für die Erfüllung der eigenen, großtürkischen Machtpläne einzusetzen.

So haben sie Merkel schon als einziger westlicher Führungspersönlichkeit Unterstützung für Ankaras Forderung nach einer Flugverbotszone über Nordsyrien abgerungen. Eine solche käme aber zu allererst dem vom Regime Erdogan insgeheim unterstützten IS zugute. Gegen ihn gehen die amerikanisch geführte Anti-Terror-Allianz, aber ebenso die Russen bisher einzig und allein aus der Luft vor.