“Weichen müssen jetzt richtig gestellt werden”

Hildegard Breiner zur Lage in Fukushima fünf Jahre danach.
schwarzach. (VN) „Da zeigt sich, dass auch ein Höchst-Technikland wie Japan hilflos gegenüber solchen Naturgewalten ist.“ Das seien Hildegard Breiners erste Gedanken gewesen, als sie am 11. März 2011 von der durch den Tsunami ausgelösten Nuklearkatastrophe in Fukushima erfahren hatte. „Aber wie anders wären die Folgen, wenn der Tsunami das Land erst im Solarzeitalter getroffen hätte?“, gibt die 79-jährige Anti-Atom-Aktivistin zu bedenken. „Jetzt werden die Weichen wohl richtig gestellt werden müssen.“
Nach dem Schock über die zweite große Kernschmelze innerhalb von 25 Jahren hätte doch der beschleunigte Umstieg auf die erneuerbaren Energien erfolgen müssen, nicht nur in Japan, resümiert Breiner heute, fünf Jahre danach. Und weiter: „Aber: Während der damalige Premier Naoto Kan, ein studierter Physiker, am 11. März 2011 sofort die Tragweite des ‚worst case accident‘ realisierte, in der Folge alle 48 AKW abschalten ließ und sich bis heute vehement für Japans Atomausstieg einsetzt, ist sein heutiger Nachfolger Shinzo Abe ein eiserner Atomkraftbefürworter. Seit August 2015 wurden bereits zwei AKW wieder hochgefahren. Nach wie vor wird auf Verharmlosung gesetzt. Zuerst von der Betreibergesellschaft Tepco, inzwischen auch von der Regierung. Das riecht verdächtig nach dem Passus Dolus eventualis im Römischen Recht, wonach Schaden bewusst in Kauf genommen wird, um momentane Gewinne nicht zu gefährden. Wider besseres Wissen werden da Messungen geschönt und so getan, als sei die Mammutaufgabe der nuklearen Säuberung bewältigbar. Die offensichtlichen ‚Beweisstücke‘ entlarven jedoch die pure politische Rhetorik. Der Zynismus etwa der Behauptung ‚Die befürchtete Häufung von Schilddrüsenkrebs bei Kindern ist nicht eingetreten‘, ist kaum zu fassen, wenn man die wahren Zustände erfährt. Eine verzweifelte Klinik-Ärztin aus Tokio erzählte mir von ihrem Kampf gegen den massiven Druck, die diagnostizierten Knoten im Hals zu ignorieren und die Kinder heimzuschicken. Offiziell liegen die Strahlenwerte nämlich knapp unterhalb des Grenzwerts.“ Nun befürchtet Hildegard Breiner, die fatale Niedrigstrahlungserbschaft könnte sich über die unvorstellbar großen Mengen des in den Pazifik abgeleiteten verseuchten Kühlwassers über die Meeresströmungen weltweit ausbreiten und sich so über die Nahrungskette auswirken. „Statt der erwarteten sechs bis sieben Jahre erreichten die strahlenden Isotopen die kanadische Küste nämlich bereits 2014.“
Wie anders wären die Folgen, wenn der Tsunami das Land erst im Solarzeitalter getroffen hätte?
Hildegard Breiner
