“Mit offeneren Augen durchs Leben gehen”

Spezial / 23.03.2016 • 22:49 Uhr
Großes Aufgebot an Sicherheitskräften in Brüssel. Auch in Österreich kann es vermehrt zu Kontrollen kommen.
Großes Aufgebot an Sicherheitskräften in Brüssel. Auch in Österreich kann es vermehrt zu Kontrollen kommen.

Generaldirektor für Sicherheit: Kein konkreter Hinweis auf Anschläge in Österreich. 

Wien. In Österreich soll sich der Alltag für die Bevölkerung nicht ändern. Ziel sei es, dass sich die Menschen weiterhin frei und sicher bewegen können, erklärt der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler, auf VN-Anfrage. Er leitet den Krisenstab, der am Dienstag nach den Brüsseler Terroranschlägen eingerichtet wurde, und aus Vertretern des Innen-, Außen-, Verteidigungs- und Infrastrukturressorts besteht. 

Lob fürs Staatsschutzgesetz

Laut Kogler besteht in Österreich derzeit eine erhöhte Terrorgefahr. Konkrete Hinweise auf einen Anschlag gebe es aber nicht. „Insofern ist Vorsicht, aber kein Grund zur Panik geboten.“ Die Polizeipräsenz sei etwa am Flughafen Wien oder an großen Bahnhöfen erhöht worden. „Je nach Lage kann es auch vermehrt Kontrollen beispielsweise an Zufahrtsstraßen zu solchen Orten geben“, sagt er. Die Menschen sollten ihm zufolge ihren Alltag leben wie bisher. Insbesondere in städtischen Bereichen müssten sie aber mit offeneren Augen durchs Leben gehen. „Das meine ich nicht nur hinsichtlich unmittelbarer Auffälligkeiten, wie frei stehenden Gepäckstücken an öffentlichen Plätzen. Wir sollten unser Blickfeld auch auf die Menschen in unserem Lebensumfeld wieder erweitern, nicht die Augen davor verschließen, wie es ihnen geht, einschneidende Veränderungen in ihrem Leben ansprechen und niemanden ausschließen“, erklärt Kogler. Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) rechnet mit einem Anstieg von Anfragen bei der Beratungsstelle Extremismus. Die Bevölkerung werde nach den Ereignissen in Brüssel wachsamer.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner fordert eine bessere Zusammenarbeit der europäischen Geheimdienste und eine dementsprechende Plattform. Österreich selbst sei gut aufgestellt. Zahlreiche Maßnahmen habe man bereits 2015 getroffen. Heuer würden weitere 1500 Polizisten aufgenommen, 2000 sollen in den kommenden Jahren folgen. Der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit hält fest, dass das Staatsschutzgesetz, das im Juli in Kraft treten wird, die Behörden mit den notwendigen rechtlichen Möglichkeiten ausstatte, um extremistischen oder terroristischen Bedrohungen schon im Vorfeld entgegenzutreten. „Konkret können dadurch etwa extremistische Gruppierungen und Einzelpersonen besser beobachtet und Daten über sie, wenn notwendig, mehrere Jahre gespeichert werden“, sagt Kogler.

Ob das Staatsschutzgesetz vor dem Verfassungsgericht standhalten wird, ist noch offen. FPÖ und Grüne kündigten eine Beschwerde beim Höchstgericht an. Sie orten zahlreiche Grund- und Verfassungsrechtsverstöße, auch in Bezug auf überbordende Datenspeicherung und Überwachung.

Einbußen von Bürgerrechten

Geheimdienstexperte Siegfried Beer kritisiert im VN-Gespräch, dass sie das Staatsschutzgesetz bekämpfen. Schließlich könne es helfen, die Terrorgefahr einzudämmen, glaubt der Direktor des Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies an der Uni Graz. „Für die Sicherheit muss es Einbußen bei den Bürgerrechten geben.“ Das sei ein Balanceakt, sagt er. Eine Plattform der europäischen Geheimdienste würde Beer begrüßen. „Ob das gelingt, ist aber offen“, meint er. Derzeit würde eine Information über mögliche Bedrohungen zwar rechtzeitig weitergeleitet, zusätzliche Unterstützung aber meist nicht klappen. Das scheitere oft am mangelnden Vertrauen oder Eigeninteresse der großen Geheimdienste. Beer spricht von einer Kultur, in der die Dienste schützen und abschotten, was sie sich erarbeitet haben – „auch mit ihrer Annahme, dass sie eh gut genug sind, die Dinge selbst zu lösen“.

Je nach Lage kann es zu vermehrten Kontrollen kommen.

Konrad Kogler