Tuchel tobt, die Bosse sind angezählt

Sport / 20.04.2023 • 23:06 Uhr
Die Schlussphase musste Thomas Tuchel von der Tribüne mitansehen.afp
Die Schlussphase musste Thomas Tuchel von der Tribüne mitansehen.afp

Der FC Bayern München ist am Boden – nach Aus in der Champions League droht erste titellose Saison seit 2012.

München Uli Hoeneß eilte nach dem nächsten jäh geplatzten Titeltraum als Seelentröster zu den niedergeschlagenen Stars, doch den wütenden Thomas Tuchel konnte auch der seltene Kabinengast nicht besänftigen. Während der glücklose Coach erbost über den Schiedsrichter schimpfte, bliesen die angeschlagenen Bosse trotzig zur neuerlichen Trophäen-Jagd: Zunächst in der Liga mit dem „Trostpreis“ Meisterschale, dann aber auch wieder in Europa – und zwar mit einem neuen Mittelstürmer.

„Wir werden wieder angreifen“, versprach Klubboss Oliver Kahn stoisch den nächsten Ansturm auf den Henkelpott. Dafür, kündigte Präsident Herbert Hainer an, werde der „FC Chancen-Wucher“ einen Neuner holen und notfalls das berühmte Festgeldkonto plündern. Neben der harmlosen Offensive rückten beim FC Bayern nach dem dritten Viertelfinal-Aus in der Champions League in Serie vor allem Kahn und Sportchef Hasan Salihamidzic in den Fokus. Der Vorstandsvorsitzende, behauptete Bild, „wackelt brutal“. Es droht ein Bosse-Beben.

Die treuesten Fans in der Südkurve feierten nach dem bitteren 1:1 gegen Henkelpott-Favorit Manchester City die tapfere Mannschaft, Kahn und Co. dagegen mussten auf einem Banner gegen Spielende lesen: „Ziele dürfen verfehlt werden – Werte des Vereins nicht! Führungspolitik hinterfragen!“

Das dürften Aufsichtsratschef Hainer und der noch immer sehr einflussreiche Ehrenpräsident Hoeneß tun. Die überstürzte Trennung von Julian Nagelsmann, aber auch Reizthemen wie das Katar-Sponsoring haben Teile des Anhangs verärgert. „Wir werden uns viele, viele Fragen stellen“, kündigte Kahn für die Saisonanalyse an und versprach: „Wir werden vieles, vieles überdenken und in uns gehen.“ Denn wie hatte Hoeneß 2017 formuliert: „Auf die Dauer ist ein Titel ein bisschen wenig.“ Nach der „Single“-Saison im Vorjahr mit der zehnten Meisterschaft in Serie droht jetzt sogar die erste titellose seit 2012. Das würde vom mächtigen Ehrenpräsidenten, der in der deprimierenden Königsklassen-Nacht einen seiner selten gewordenen Kabinenbesuche abhielt, kaum geduldet werden. Und so wird bei der angekündigten Saison-Bewertung das Wort des Vereinspatrons vom Tegernsee ein ungleich bedeutsameres Gewicht haben als etwa das große Banner in der Fankurve.

2012 war Sportchef Christian Nerlinger durch Matthias Sammer ersetzt worden. Wäre diesmal Salihamidzic das logische Opfer?

„Ich stelle mich der Kritik, klar“, sagte der Sportvorstand, Kahn und er hinterfragten sich „jeden Tag, 24/7“. War die Kaderplanung verfehlt? „Ich stehe mit breiter Brust da, weil ich weiß, was für eine Mannschaft und was für einen Trainer wir haben“, betonte Salihamidzic, vorne besitze man „acht Spieler für vier Positionen, die Weltklasse haben“. Doch er gab zu, man müsse die Zusammenstellung der Mannschaft „neu überdenken“.

City-“Tormonster“ Erling Haaland, im vergangenen Sommer vehement umworben, spiele „leider nicht bei uns“, sagte Kahn: „Wir beschäftigen uns jeden Tag mit dieser Position.“ Hainer kündigte an, der Rekordmeister werde sich „so verstärken, dass wir wieder um den Champions-League-Titel mitsprechen können“.

Selbst ein Hochkaräter wie Harry Kane sei leistbar. „Finanziell ist der FC Bayern sehr gut aufgestellt“, betonte der Präsident: „Wir haben eine hohe Eigenkapitalquote“ und „ein bisschen Geld auf dem Festgeldkonto.“ Daneben ruhen die Hoffnungen auf Tuchel, der mit Konrad Laimer (25) aus Leipzig auch eine „Pressingmaschine“ für das schlecht ausbalancierte Mittelfeld bekommt. „Wir sind total überzeugt, dass wir mit Thomas früher oder später wieder dort sind, wo wir alle hin wollen – ganz oben. Auch in Europa“, sagte Kahn.

Ein Charaktertest

Dass Tuchel nach sechs Spielen die schwächste Bilanz eines Bayern-Trainers seit der Fehlbesetzung Sören Lerby 1991 hat, soll darüber nicht hinwegtäuschen. Denn den Trainerwechsel verteidigten die Bosse nach wie vor. „Ich glaube“, sagte selbst Nagelsmann-Jünger Joshua Kimmich, „dass wir von Thomas Tuchel noch profitieren werden.“ Tuchel hatte Mühe, sich nach seinem Ärger über Schiedsrichter Clement Turpin („Note 6!“) und der Gelb-Roten Karte durch den Franzosen (86.) zu beruhigen. Er haderte mit dem Aus, „wir hatten sie wieder am Haken“, sagte er geknickt, seine Bayern sah er „komplett auf Augenhöhe“.

„Wir werden uns viele Fragen stellen, werden vieles überdenken und in uns gehen.“

Die aktuelle sportliche Kompetenz des FC Bayern mit Kahn und Salihamidzic neben den Lehrmeistern Rummenigge und Hoeneß.
Die aktuelle sportliche Kompetenz des FC Bayern mit Kahn und Salihamidzic neben den Lehrmeistern Rummenigge und Hoeneß.
Tuchel tobt, die Bosse sind angezählt