49ers jagen Super-Bowl-Triumph #6

Martin Pfanner über Mister Irrelevant und warum er plötzlich sehr relevant ist. Super Bowl am Sonntag 0.30 Uhr (DAZN und RTL live).
Las Vegas Um die San Francisco 49ers der aktuellen Saison zu verstehen, muss man erst die National Football League (NFL) als Ganzes verstehen. Die 32 Mannschaften der NFL bilden ein geschlossenes System, das durch eine Talente-Pipeline namens NFL Draft aus dem US-College-Football gespeist wird. Einmal pro Jahr können sich Teams im Auswahlprozedere namens Draft neue Spieler auswählen. Für amerikanisch-kapitalistische Verhältnisse mutet ein Umstand fast absurd an: Die nach Rangfolge schlechtesten Teams des Vorjahres dürfen als Erste auswählen. So soll zumindest in der Theorie sichergestellt werden, dass sich Kräfteverhältnisse neu ordnen und vielleicht irgendwann auch ausgleichen.

Langfristiger Vertrag
Als Offensiv-Guru Kyle Shanahan 2017 von den San Francisco 49ers als Headcoach verpflichtet wurde und einen damals unüblich langen Sechsjahresvertrag unterzeichnete, war klar, dass es Zeit benötigen würde, die einst so stolze Franchise wieder längerfristig kompetitiv zu machen. Shanahan, der ein für die damalige Zeit innovatives Offensivkonzept lehrte, schaffte wider Erwarten bereits in seinem dritten Jahr den Einzug ins Endspiel. Und das justament gegen denselben Gegner, der am Sonntag im Allegiant Stadium auf die 49ers wartet: die Kansas City Chiefs. Bei der damaligen Niederlage in Super Bowl 54 offenbarte 49ers Quarterback (QB) Jimmy Garoppolo aber bereits Limitationen, die die 49ers im NFL Draft 2021 dazu veranlassten, alles auf eine Karte zu setzen.
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Der „Mister Irrelevant“
San Francisco entschied sich im Draft 21, bis an Position #3 hochzutraden, um mit Quarterback Trey Lance einen athletischen Rohdiamanten auszuwählen, den der Feinschliff durch Shanahan auf Elitelevel bringen sollte. Als sich Lance anschickte, 2022 das QB-Zepter zu übernehmen, dauerte seine Saison ganze eineinhalb Spiele, bevor ihn ein Knöchelbruch außer Gefecht setzte. Da sich Ersatzmann Garoppolo zehn Spiele später ebenfalls schwer verletzte, musste ein Mann namens Brock Purdy in die Bresche springen. Der 262. und letzte Pick im NFL Draft 2022 war selbst für Fachleute ein unbeschriebenes Blatt. Zudem war er – wie es in den USA Usus ist – als letzter gezogener Spieler im Draft mit dem Titel „Mister Irrelevant“ ausgestattet.
Unangefochtene Nummer eins
Wie relevant Purdy aber sein sollte, zeigte er noch in der Vorsaison bei seinem ersten Spiel von Beginn an, als er Tom Bradys Buccaneers in die Schranken verwies. Purdy führte die 49ers in seinen ersten sieben Spielen jeweils zum Sieg, bis ihn eine schwere Ellbogenverletzung im Halbfinale des Vorjahres stoppte (und damit auch die 49ers). Headcoach Shanahan und das Management waren von Purdys Entwicklung aber derart angetan, dass man Trey Lance im Sommer nach Dallas transferierte und Purdy damit zum unangefochtenen Quarterback #1 krönte.
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Auch in der aktuellen Saison spielt der 24-jährige Purdy groß auf, pilotierte sein Team mit einer Bilanz von zwölf Siegen aus 17 Spielen in die Playoffs und dort mit Erfolgen über Green Bay und Detroit prompt ins Endspiel. Noch nie war ein letzter Pick im Draft so erfolgreich, noch nie dürften sich reihenweise Teams in den Allerwertesten gebissen haben, weil man Purdy nicht auf dem Schirm hatte (Parallelen zu QB Tom Brady – seines Zeichens siebenfacher Super-Bowl-Sieger –, der an Stelle #199 im Draft ging, bieten sich durchaus an).

Lange Durststrecke
Die Tatsache, dass Purdys jährliches Salär weniger als eine Million Dollar beträgt (zum Vergleich: Kansas City QB Mahomes verdient diese Saison knapp 60 Millionen), half den 49ers, weitere Stars zu verpflichten und immer noch innerhalb der Gehaltsobergrenze zu bleiben. So gilt San Francisco gemeinhin als „loaded“, also gespickt mit Top-Spielern. Diese Top-Spieler müssen aber – ähnlich wie Purdy – liefern, damit die 49ers erstmals seit Jänner 1995 die Lombardi Trophy wieder in die Bay Area holen können. Den Titel Mister Irrelevant wäre Purdy in diesem Fall wohl für immer los.
Martin Pfanner ist selbstständiger Journalist, TV-Kommentator und
Sendungsproduzent. Er arbeitet unter anderem für Puls 24 und das Streaming-Portal DAZN. American Football und Eishockey sind seine großen Passionen.